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bitte geben Sie den Autor an, sonst ist es geistiger Diebstahl.

Samstag, 13. Mai 2017

Der Watzmann

Die ersten gemeinsamen Urlaubstage lagen hinter uns. Das Wetter war mittelprächtig, teilweise bewölkt, aber es sollte die kommenden Tage besser werden.

Mein alter Herr, na ja, so alt war er damals noch nicht, wurde von Tag zu Tag lästiger. Er konnte von nichts mehr anderem reden, als unserer Watzmanntour.

»Papa, bei dem Wetter macht es keinen Sinn hochzugehen! Wir warten lieber noch ein paar Tage!«

Er benahm sich wie ein ungezogenes Kind, das unbedingt seinen Kopf durchsetzen will. Jeden morgen rannte er als Erstes zum Barometer. Dann hörte er im Radio die Wetterprognosen.

Internet und Wetter-Apps gab es damals noch nicht.
Dann, endlich erreichte ein stabiles Hochdruckgebiet die Ostalpen. Mein Vater war glücklich.
Es konnte losgehen!

Am ersten Tag kam der mühsame, aber leicht zu bewerkstelligende Aufstieg zum Watzmannhaus auf 1915 Meter. Es ging flott voran und das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite.

Watzmannhaus



 Oben angekommen bezogen wir erst mal unser Quartier, dann stärkten wir uns in der Wirtsstube.

Am nächsten Morgen wollten wir schon bei Sonnenaufgang aufbrechen. Die vor uns liegende Tour mit der Überquerung der drei Gipfel des Watzmanns (Hocheck, Haupt- und Südspitze) war lang und schwierig. Dann kam noch ein mühsamer Abstieg. Deshalb war auch kein Hüttenzauber angesagt.
Es kam alles ganz anders.



links unten nicht mehr im Bild das Watzmannhaus. Route über Hocheck, Haupt- und Südgipfel




 
Am nächsten Morgen, wie geplant bei Sonnenaufgang, ging es hinauf auf 2651 Meter zum Hocheck. Dort fing der schwierige Teil an. Der Grat hinüber auf die Mittelspitze war mit Drahtseilen gesichert. Es fegte ein eisiger Wind.

Beim ersten Griff fror meine linke Hand am Stahlseil fest. Ich riss sie sofort weg, da flogen auch schon die Hautfetzen. Ich kramte ein Verbandpäckchen aus meinem Rucksack und umwickelte meine Hand, die anfing zu bluten. Mein Vater, zwei drei Meter hinter mir, nahm das kurz zur Kenntnis.

»Weiter!«, drängelte er.
»Warte halt, ich muss erst meine Handschuhe herausholen!«

Mit dem linken Arm umschlang ich das Drahtseil und hing mich mit der Achsel hinein, damit ich die rechte Hand frei bekam, um meine Handschuhe aus der Jackentasche zu ziehen. So nebenbei musste ich auf dem schmalen Felsgrat Balance halten. Nun fummelte ich einen Handschuh über den Verband meiner linken Hand. Dabei kam mir der Zweite aus und wehte davon.

Mit blanken Händen war es unmöglich, am Seil weiterzugehen. Das sagte ich meinem Vater.

»Hast Du kein zweites Paar dabei?«, kam es vorwurfsvoll.
Natürlich hatte ich kein zweites Paar Handschuhe dabei.
Der Alte war stinksauer.
»Dann warten wir, bis er wärmer wird!«
»Das macht keinen Sinn, das kann Stunden dauern! Schau dir die Wolken an, die aufziehen!«

Über den Grat stieg von Osten her eine Nebelwand auf.

»Und außerdem schmerzt meine Hand. Damit kann ich keine drei Stunden bis zur Südspitze klettern. Das meiste geht am Seil, das weißt Du!«

Angefressen drehte er um.
Ich hangelte mich mit meiner verletzten aber geschützten Hand zurück, bis ich ohne Seil einen festen Stand hatte.

»Warum hast Du mir nicht Dein zweites Paar Handschuhe gegeben?«, fragte ich ihn.
Nun musste er eingestehen, dass auch er kein zweites Paar dabei hatte.

Über den Hochecksteig ging es zurück zum Watzmannhaus. Der Nebel wurde dichter.
Dort angekommen verarztete ich zusammen mit dem Hüttenwirt meine Hand. Zwei kräftige Hautfetzen ließ ich am Stahlseil droben auf dem Watzmann.

Wenig später kam eine Dreiergruppe Bergsteiger von oben und sagte uns, dass es bei diesem Wettersturz schier unmöglich sei, den Grat bis zur Mittelspitze zu gehen, sie seien auch umgekehrt.






 


Nach dieser Rast traten wir noch am gleichen Tag den Rückweg ins Tal an. Unten schien die Sonne, die Gipfel des Watzmanns waren in Wolken gehüllt.


Den restlichen Urlaub verbrachte ich die meiste Zeit alleine am Berg bei leichteren Touren. Nur abends saßen wir bei Steffi und Marei zusammen in der Stube und sammelten unsere Kronkorken.

Über die nicht gelungene Watzmannüberquerung verloren wir kein Wort.
Es war meine letzte gemeinsame Klettertour mit meinem Vater.

Donnerstag, 11. Mai 2017

Urlaub mit der Familie


Mein Vater schaffte sich einen Manta an. Richtig gelesen, einen dunkelgrünen Opel Manta. Als selbstständiger Handwerker, genauer Bezirksschornsteinfegermeister, kaufte er sich alle zwei Jahre einen neuen Opel.
Irgend ein Depp musste ihm den Manta aufgeschwatzt haben.

Aber, das wollte ich gar nicht erzählen.
Viele selbstständige Handwerker kauften sich damals alle zwei Jahre ein Auto, musste ja nicht unbedingt ein Opel sein. Das war überhaupt nichts Besonderes.

Aber, dass ein Student mit seinen Eltern und seinen Großeltern väterlicherseits gemeinsam in Urlaub fuhr, das war was Besonderes!

Unfreiwillig war das nicht.
Es war knallharte Kalkulation. Zwei Wochen keinen Pfennig selber zahlen, war zu verlockend.

Als wir irgendwann im Spätsommer mit zwei Autos von zu Hause losfuhren, bestand mein Großvater väterlicherseits darauf, mit mir im R4 mitzufahren. Papa steuerte seinen Manta mitsamt meiner Mutter und meiner Großmutter, natürlich auch väterlicherseits, gen Süden.

Opas Begründung: Einer müsste mich ja während der langen Fahrt unterhalten, damit ich nicht hinter dem Steuer einnickte.
Doch, »einnickte« sagte er wortwörtlich, dass weiß ich hundertprozentig. So was prägt sich ein.

In Anbetracht eines komplett kostenfreien Urlaubs schluckte ich die Kröte und hoffte inständig, dass es nicht allzu schlimm kommen würde.
Es kam schlimmer!

Pausenlos wurde ich mit irgendwelchen Onkeln und Großneffen, Tanten und Schwippschwagern traktiert. Die gesamte Ahnengalerie der Verwandtschaft wurde in meinem R4 episch ausgebreitet.
Zaghafte Versuche meinerseits, Opas Redeschwall einzudämmen, scheiterten kläglich.

Ich konnte nie leiden, wenn mich irgend eine Labertasche während der Fahrt vollquatschte.

Die geniale Idee das Autoradio anzumachen war suboptimal, ich hatte gar kein Radio im R4.

Die lange Fahrt in den Süden via Würzburg und Nürnberg rüttelte gewaltig an meinem Nervenkostüm. Auf der Salzburger Strecke dünnte Opa’s Redeschwall merklich aus. Er fing auf dem Beifahrersitz zum Pennen an. Ich atmete auf und dankte meinem Schöpfer für die Ruhe, auch wenn ich sonst schlafende Beifahrer nicht ausstehen konnte.
Wir bezogen Quartier auf einem Bauernhof in Vorderbrand, Gemeinde Schönau am Königsee.

Ich stellte meinen inzwischen wieder vollbetankten R4, Opa zahlte, hinter den Holzschuppen und schwor mir, während der kommenden 2 Wochen keine einzige Runde damit zu drehen.
Ich kann es vorwegnehmen, ich hielt meinen Schwur!

Marei, die Bäuerin schloss mich sogleich in ihr Herz, dass unter einem wogenden Busen nur Güte und Gemütlichkeit verströmte. Steffi, der Bauer war ein liebenswerter Hallodri, dem der Schalk bei jeder sich bietenden Gelegenheit aus der Seele sprang. Wir verstanden uns blendend.

Dabei arbeitenden die beiden hart auf ihrem Hof. Die wenigen Fremdenzimmer waren ein gern gesehenes Zubrot.
Zum Ende der Saison waren wir die einzigen Gäste.

Zur Begrüßung kam Kaffee und Kuchen auf den Tisch. Mareis Gugelhupf war ein Gedicht. Gleich danach gab’s einen selbstgebrannten Obstler. Dann gingen beide in den Stall und wir konnten uns von den Strapazen der Fahrt erholen.

Mein Vater, inzwischen mit dem Bergsteigervirus infiziert, schielte immer wieder hinüber zum Watzmann, der sich in der Spätnachmittagsonne in sanften Ockerfarben präsentierte.
Rechts der Watzmann mit seinen drei Gipfeln, links der kleine Watzmann, dazwischen die fünf Watzmannkinder von Norden gesehen

»Wann mach' mer ihn?«, fragte er mich.
»Die Tage!«, antwortete ich knapp.

Sonderliche Lust dazu hatte ich momentan keine. Für meinen Vater war es natürlich unvorstellbar 2 Wochen mit Direktblick zum Watzmann Urlaub zu machen und ihn nicht zu besteigen. Das war mir von vorneherein klar.

Am ersten Abend saßen wir in gemütlicher Runde in der guten Stube, verputzten eine ordentliche Brotzeit mit Speck, Leberwurst und Käse, alles echt hausgemacht. Papa redete die meiste Zeit über unsere Watzmann-Tour, konnte aber bei Steffi damit keinen Eindruck schinden.

S' Marei erzählte über Ihren Hof, während der Bauer mit mir zusammen eine Flasche Bier nach der anderen verlötete. Die holten wir gleich um die Ecke aus der Abstellkammer.

Zur genauen Abrechnung, so schlug Steffi vor, sollte ein jeder die Kronkorken seiner Bierflaschen in die Hosentasche stecken, dann würden wir alle die Übersicht behalten.
Eine geniale Idee, so einfach und doch so effizient!

Als ich kurz vor Mitternacht nach oben in mein Zimmer ging, zählte ich 7 Kronkorken, wobei ich eine dem Steffi spendierte, ich musste ja nicht zahlen.

Ich schrieb oben bewusst »ging«. Obwohl ich den einen oder anderen selbstgebrannten Obstler verkonsumierte, war ich durchaus noch Herr meiner Sinne und Herr meiner Füße, die ja bekanntlich in Bayern bis ganz nach oben gehen.

Samstag, 6. Mai 2017

Barbecue





Zum besseren Verständnis muss ich ein wenig ausholen.

In München gab es seinerzeit in der Sonnenstraße ein Künstlercafé. Dort saßen in den Nachmittagsstunden neben den wahren Künstlern auch ein paar Möchtegernmaler und Möchtegerndichter herum.

Bei dieser Spezies Mensch, allesamt männlichen Geschlechts, stand die Zeichenmappe allzu auffällig am Stuhlbein und Stift und Block lagen demonstrativ dahingebreitet vor dem Schreiberling. Auch wurde so manche Baskenmütze gesichtet, da diese Kopfbedeckung dem Kunstschaffenden eigen sein soll.

Es dauerte nicht lange, da fuhr die eine oder andere Luxuskarosse vor. Den Boliden entstieg so manche Kunst- bzw. Literaturliebhaberin. Diese zeichneten sich dadurch aus, dass sie weniger an den Kunstwerken als mehr an den Kunstschaffenden interessiert waren.
Die Ladies waren mal mehr mal weniger jung, an ganz junge kann ich mich nicht erinnern.

Die winters in Pelz, sommers in Haut Couture Gewandeten, schlenderten eher belanglos durch die Tischchen um sich rein zufällig irgendwo niederzulassen. Dieser Zufall wollte immer, dass irgend ein gut aussehender Adonis ob mit oder ohne Baskenmütze, schon am Tisch saß.

Der Small Talk konnte beginnen.

Für den geübten Beobachter war die Sache recht bald durchschaut. Die suchten einen Gelegenheitscallboy, damals in München auch mit dem Titel »Tschamsterer« bedacht. Manchmal wird dieses Wort auch mit einem »D« am Anfang anstatt einem »T« verwendet.

Wolfgang war wohl auch ein paarmal vor Ort. Ob er als Maler oder Dichter auftrat, verriet er mir nicht. Eine Baskenmütze scheint er auch nicht getragen zu haben, er war kein Mützentyp. Aber er sah gut aus.

Schon vor Wochen begann das Techtelmechtel mit einer gelangweilten Gattin eines stinkreichen Teppichbarons.
Der Alte war so mit dem Geldverdienen beschäftigt, dass er sich nicht mehr um seine Gemahlin kümmern konnte.

Diese wiederum brachte das verdiente Geld unter die Leute und suchte sich einen anderen und jüngeren Kümmerer.

Nach ein paar Wochen des gegenseitigen Kümmerns wollte ihre nicht minderreiche Freundin mit ähnlichem Portfolio einen eigenen Kümmerer, da auch ihr Mann sich mehr dem Mammon zuwendete.

Exakt zu diesem Zeitpunkt dachte Wolfgang an mich!

Die Villa am Starnberger See war wie geschaffen dafür. Dort konnte sich hin und her und sogar kreuzweise gekümmert werden.

Die ersten Annäherungsversuche wurden bei einem intimen Barbecue ausgelotet. So erzählte es der bereits erfahrene Kümmerer Wolfgang.

Nach dem Barbecue wartete ein beheizter Pool von enormer Größe auf die angetörnten Damen und die allzeit bereiten Tschamsterer.
Dazu musste man sich allerdings noch mal nach oben begeben um in die Badesachen zu schlüpfen. Man wollte ja nicht gleich nackert in die Fluten springen.

Dann kam es doch ganz anders.

Das Barbecue brachten wir sittsam und mit der nötigen Etikette hinter uns, als das Telefon klingelte.

Die Teppichhändlersgattin wurde blass und blasser.
Ein leises »O mein Gott!«, hörten wir ein paar mal.

Um nicht Augen und Ohrenzeuge einer schlimmen Nachricht zu werden, gingen Wolfgang und ich auf die Terrasse. Man weiß schließlich, was sich gehört.

Sehr aufgeregt und hektisch suchte die am Telefon Blassgewordene ihre Utensilien zusammen, während wir von der deutlich weniger aufgeregten Freundin erfuhren, dass der olle Teppichtandler mit einem Herzinfarkt in der Uniklinik lag.

Wenig später brauste der Jaguar E aus dem Grundstück.

Ich sah das Ganze als Fügung des Schicksals und hätte sogar, wenn ich katholisch erzogen worden wäre, einen Rosenkranz gebetet.

Da dem aber nicht so war, beschränkte ich mich auf ein allgemeingültiges »Halleluja« und einem »Auf geht’s Wolfgang, wir hauen auch ab!«

Die Freundin der Teppichhändlersgattin hauchte uns ein »schade« nach, alldieweil sie ja in der tollen Villa am Starnberger See nächtigte.

Auf dem Rückweg nach München, der R4 schnurrte fast wie ein Jaguar, fragte ich Wolfgang, wer mir den zugedacht gewesen sei.

Er meinte daraufhin, das hätte sich irgendwann am Abend schon irgendwie ergeben.

Wochen später erfuhr ich, dass der Teppichhändler wieder wohlauf sei.

Da mir das »irgendwann« und »irgendwie« nicht sonderlich behagte, sah ich die Villa nie mehr von innen.


Der berühmte Satz: Ich war jung und brauchte das Geld!«, konnte als Entschuldigung auch nicht herhalten, ich lebte in leidlich ordentlichen Verhältnissen und von Geld war nie die Rede.

Mittwoch, 3. Mai 2017

Die Villa am Starnberger See

Meine Studentenbude in der Ganghoferstrasse übernahm ich von Wolfgang, der in eine Kommune zog.
Ihn kannte ich von früher, er wusste, dass ich eine ordentliche Bleibe suchte. So konnte der Deal perfekt gemacht werden.

Vorher logierte ich mit einem Kommilitonen zusammen im Doppelzimmer einer Etagenpension.
Studentenunterkünfte waren seinerzeit Mangelware.

Das durfte kein Dauerzustand werden.
Immer wenn mein Mitbewohner zum Wochenende seine Freundin zu Besuch hatte, musste ich mir eine Notunterkunft besorgen oder ich wich in die Berge aus.

In der belebten Dachauer Straße konnte man nirgends am Fahrbahnrand parken. Nicht mal anhalten durfte man.
Einmal passierte es, dass ich meinen R4 halb auf den Bürgersteig fuhr, um nur kurz was Schweres auszuladen. Als ich wieder zurück zu meinem Auto kam, war schon ein Strafzettel hinter den Scheibenwischer geklemmt.

10 DM haben und nicht haben waren für einen Studenten keine Kleinigkeit. Also schnappte ich mir den Strafzettel, sprintete der Politesse nach und warf mich vor ihr in den Staub.
Na ja, ganz so dramatisch war es nicht, aber ich kniete vor ihr nieder und bat sie, einem armen Studenten das Knöllchen zu erlassen.
Die hübe junge Frau in schmucker Uniform war total überrascht um nicht zu sagen überwältigt, einen gut aussehenden jungen Mann vor ihr auf den Knien zu sehen.  Sie erbarmte sich meiner und zerriss das Knöllchen.

Ich war froh, dank Wolfgang, eine endgültige Bleibe gefunden zu haben.
Das möblierte Zimmerchen bei einer jungen Familie wurde bis zum Staatsexamen mein Zuhause.
Einen ordentlichen Schreibtisch bastelte ich mir aus mehreren leeren Biertragerl und einem vorhandenen Couchtisch zusammen. Bad und Küche konnte ich mitbenutzen, Herz was willst Du mehr?

Eines Tages stand Wolfgang in der Tür.
Ob ich Lust hätte und mir vorstellen könnte ein Wochenende in einer tollen Villa am Starnberger See zu verbringen.
Ich konnte mir das sehr gut vorstellen, aber ich fragte mich, wo der Haken dabei sei?

Ich sollte einfach mal mitfahren, dann würde ich schon sehen.
So reservierte ich das kommende Wochenende für den Starnberger See.

Am Freitagnachmittag fuhr ich mit meinem R4 mitsamt kleinem Gepäck inclusive Badesachen und Wolfgang auf dem Beifahrersitz gen Süden.
Sicher lotste er mich vor das Eingangstor eines Seegrundstückes mit prachtvoller Villa.
Wolfgang stieg aus, klingelte und sagte: »Wir sind da!«
Sonst nichts!

Wenig später rollte das Tor zur Seite.
Der R4 verschwand in einer weiträumigen Garage, in der schon ein roter Jaguar E stand.
Als ich meinen mickrigen R4 neben dem Boliden sah, musste ich unwillkürlich lachen!




Die Dame des Hauses, eine durchaus attraktive Mittvierzigerin und Ihre Freundin nicht minder attraktiv begrüßen uns wie zwei uralte Freunde.

Wir sollten erst mal unsere Zimmer beziehen und uns frisch machen, dann wäre ein intimes Barbecue angerichtet.

So langsam konnte ich mir die ganze Sache zusammenreimen.
Wir bekamen jeder ein Zimmer.
Dann rückte Wolfgang mit dem Haken heraus.

»Wir verbringen einen tollen Abend, machen das eine oder andere »Hupferle«, und morgen ist alles so, als ob nichts gewesen wäre. Am Sonntag können wir schon, wenn Du willst, um die Mittagszeit zurück nach München fahren!«

Obwohl ich nicht katholisch erzogen worden bin, wurde es mir recht mulmig.

Den Fortgang der Geschichte will ich ein andermal erzählen, auch wenn Sie jetzt noch so neugierig sind.

Samstag, 1. April 2017

Wenn alle Sicherungen durchbrennen

Wieder einmal hatte ich Sitzwache auf der Säuglingsstation.
Ich lernte eine ganze Menge bei diesen Sitzwachen und konnte mich zwischendurch auf diverse Prüfungen vorbereiten.
Und, so nebenbei verdiente ich mir etwas Geld.

Zu dritt, allesamt Doktoranden der Kinderklinik, bemühten wir uns um die anfallenden Sitzwachen. Da wir fast täglich in der Klinik zu tun hatten, waren wir leicht erreichbar. Die Nachtschwestern und die Kinderärzte kannten uns, wir mussten nicht immer neu eingewiesen werden.
Mit anderen Worten, wir waren für diese Aufgaben gern gesehene Mitarbeiter.

Vor mir im Kinderbettchen lag das kleine Bündel Mensch, angeschlossen an diverse Schläuche. Immer wieder musste das Büblein über ein Tracheostoma, das ist ein Luftröhrenschnitt, gespült und abgesaugt werden, damit seine kleine Lunge nicht voller Schleim lief.

Oft schüttelten Hustenattacken den kleinen Racker, danach schlief er wieder für wenige Minuten. Wenn er aufwachte und die Lunge einigermaßen frei war, konnte er ganz ruhig atmen. Dann passierte es sogar, dass ein Lächeln über das blasse Gesichtchen huschte.

Uns wurde von erfahrenen Kinderschwestern immer und immer wieder eingebläut, keine persönliche Beziehung zu den kleinen Patienten aufzubauen. Besonders bei schwer erkrankten Kindern könne das unsere Psyche stark belasten.

 Wir hörten von jungen Krankenschwestern, die sich die Schicksale ihrer kleinen Patienten so zu Herzen nahmen, dass sie nicht weiter im Beruf arbeiten konnten. Sie zerbrachen an ihrem Mitgefühl.

Wer nicht mehr rational in so einer Situation arbeiten kann, der kann für einen Patienten zur Gefahr werden. Wer seinen Emotionen freien Lauf lässt, ist an einem Krankenbett fehl am Platz!

Das sind sehr harte Worte, aber aus meiner heutigen Erfahrung absolut zutreffend. Ganz besonders gilt dies bei Kindern.

Ich war schon die dritte Nacht an Manuels Bettchen. Von Tag zu Tag ging es dem Kind schlechter. All die Möglichkeiten einer hochmodernen Kinderklinik konnten seinen Zustand nicht stabilisieren.
Die Nachtschwester warnte mich bei Dienstantritt schon vor.


Gerade hatte ich die Lunge über das Tracheostoma abgesaugt und dem Büblein eine neue Windel verpasst, als ein Zittern durch das winzige Bündel Mensch ging. Mit Ärmchen und Beinchen fuchtelte und strampelte es ins Leere, durchgeschüttelt von Hustenstößen.
Die Bewegungen wurden langsamer, das Atmen flacher, ein letztes Mal schlug mein kleiner Patient die Augen auf, dann zeigte das EKG eine Nulllinie.

Der diensthabende Oberarzt stand neben mir.
Jedes gesprochene Wort war jetzt fehl am Platz.

Betretenes Schweigen. Die Nachtschwester schob das Kinderbettchen mit dem leblosen Körper aus dem Zimmer.


Der Oberarzt nahm sich Manuels Krankenakte und malte ein Kreuz mit seinem Kugelschreiber auf den Überwachungsbogen, dahinter schrieb er den Todeszeitpunkt.

Über dem Eintrag sah ich das Geburtsdatum.
Manuel war am gleichen Tag wie mein Sohn geboren.
Knapp sieben Monate waren beide alt.

Nun brannten bei mir alle Sicherungen durch!
Überstürzt lief ich raus in den Klinikhof.
Ich musste sofort nach Hause zu meinem Sohn!
Sofort!

Über fünf Stunden später und 450 Kilometer durch die Novembernacht hielt ich endlich, unendlich glücklich meinen Sohn in den Armen.


Ein Walzer am Morgen

Aus dem Kofferradio ertönte der Donauwalzer. Ich schnappte mir Schwester Ortrudis, dann schwebten wir im Walzertakt über den blitzeblank gewienerten Fußboden der Kinderambulanz.

Was war da los, fragten sich unsere ersten kleinen Patienten mitsamt ihren Müttern, Omas oder Papas?

Es war Halbacht und ich kam wie so oft um diese Zeit in die Kindersprechstunde, um mitzuhelfen.

Ich war während meiner Münchner Zeit viel in der Haunerschen Kinderklinik der Universität unterwegs, da ich dort meine Doktorarbeit schrieb.

Schwester Ortrudis sah, wie ich meine Badetasche mitsamt Kofferradio in irgendeiner Ecke deponierte.
Ich wollte nach getaner Arbeit zum Baden.

Alle Ordensschwestern sind neugierig. Ortrudis machte da keine Ausnahme.
Viel später erlebte ich noch viele Ordensfrauen, sie waren allesamt, ohne Ausnahme, neugierig.

Ortrudis schnappte sich das Radio und meinte, sie hätte auch so ein Ähnliches.
Dann drückte sie auf eine Taste und der Walzer ertönte.

Wir tanzten den Flur rauf und runter. Mal linksherum, mal rechtsherum. Ihr helles Lachen war ansteckend.
Als der Rundfunksprecher von Bayern 1 die Wetteraussichten verlas, hing Schwester Ortrudis an meinem Arm und lachte immer noch.

Sie war die gute Seele der Kinderambulanz. Eine wunderbare Ordensfrau, die all ihre kleinen Patienten liebte.
Wir verstanden uns prächtig.
Sie tätschelte meine Wange und meinte, das wäre seit langem mal wieder ein guter Einstieg in unsere Arbeit gewesen.

Dann richtete sie Ihren Schleier zurecht und rief die ersten kleinen Patienten in die verschiedenen Untersuchungszimmer. Viele kannte sie ohne Karteikarte mit Namen.

Mit einem 7 jährigen Mädchen musste ich nochmal Walzer tanzen. Sie stand die ganze Zeit auf dem Flur und klatschte im Takt, als ich mit Ortrudis die Runden drehte.

Dann kam Schwester Ortrudis mit den Röhrchen zur Blutentnahme. Sie setzte das Kind auf Ihren Schoß und desinfizierte die Ellenbeuge.
»Das hat nur ein ganz kleines Bisschen weh getan!«, sagte meine kleine Tanzpartnerin zu mir.
Ich war mächtig stolz auf Ihr Lob.

»Schau mal!«, dabei riss sie sich die Perücke herunter und streichelte über ihr nicht mehr ganz so kahles Köpfchen.
»Die kommen wieder!«, sagte sie stolz.
Dann setzte sie die Perücke wieder auf und meinte: »Die behalte ich trotzdem noch!«

Ich versprach Ihr, in einem Monat bei der nächsten Blutentnahme genau so behutsam zu sein.

Es kam nicht mehr dazu.
Die Leukämie war nicht mehr zu beherrschen.

Mittwoch, 29. März 2017

Kakteen und thüringer Bratwurst

An Pfingsten war Coburg angesagt.
Dort tagte jedes Jahr der Pfingstkongress der akademischen Landsmannschaften und Turnerschaften an deutschen Hochschulen, auch Coburger Convent (CC) genannt. Es war und ist heute immer noch der Dachverband der gleichnamigen Studentenverbindungen.

Auf der Fahrt drängelte Hoss solange, bis wir einen Abstecher in die Bundeswehrkaserne nach Veitshöchheim machten.

Der aufmerksame Leser meiner Geschichten weiß, dass wir beide dort vor unserem Studium während unserer Bundeswehrzeit einen Sanitätslehrgang absolvierten.

Er wollte unbedingt unseren damaligen Ausbilder, einen Oberstabsfeldwebel besuchen.

Wir gingen in den zweiten Stock der Sanitätsschule.
Direkt neben dem Eingang zum Hörsaal hatte besagter Oberstabsfeldwebel seine Kakteensammlung, die er jahraus jahrein liebevoll versorgte.
Dem Stundenplan, der neben der Eingangstüre hing, entnahmen wir, dass in zehn Minuten Pause war.
Wir warteten.
Um mir die Zeit zu vertreiben, betrachtete ich die vielen Kakteenarten, die auf mehreren Tischen herumstanden.





Dann hörte ich ein Plätschern.

Hoss pinkelte gerade über die Succulenten, wie die Kakteen in der Fachsprache heißen.
 Er zog seinen Reißverschluss hoch und meinte:
»So, das musste jetzt sein. Damals schwor ich mir, einmal über seine Kakteen zu pinkeln!«


Wir warteten nicht mehr auf den Oberstabsfeld und machten uns statt dessen aus dem Staub.

In Coburg bezogen wir eine Massenunterkunft in einer für den Kongress umfunktionierten Berufsschule.
Dann kam der Pfingstsonntagmorgen. Am Abend zuvor feierten wir ausgiebig mit vielen anderen Verbindungsstudenten.
In voller Montur, d.h. im dunklen Anzug, Krawatte und Couleurband verbrachte ich die Nacht auf einer Art Feldpritsche.
Als mir die Sonne ins Gesicht schien, blinzelte ich verschlafen in die Runde und fand mich samt Pritsche auf dem Coburger Marktplatz wieder.
Die hatten mich doch tatsächlich von der Berufsschule mitsamt Feldpritsche auf den Marktplatz geschleppt.
Um mich herum ertönte aus vielen Kehlen ein donnerndes »Guten Morgen!«

Nachdem ich mich erst mal sortiert hatte, verdrückte ich an einer nahegelegenen Wurstbude eine Thüringer Bratwurt und trank ein Bier dazu. Dann war die Welt wieder in Ordnung.
Um die nun leere Bettstatt sollten sich meine Transporteure kümmern, sie hatten schließlich schon Übung darinnen.

Coburg war über die Pfingstfeiertage im Ausnahmezustand. Es war sicher ein Streich unter vielen.

Dienstag, 28. März 2017

Eier sind so gesund!



Mein Freund Jürgen, den alle nur »Hoss« nannten, war das schwarze Schaf der Familie. Er passte nicht in ihr beschränktes bürgerliches Bild. Hoss war ein Revoluzzer, der so manch eingestaubte Norm über Bord warf und sich einen Dreck um kleingeistige Konventionen scherte.

Seine Familie lebte im Hochwesterwald mit Sichtkontakt zur Fuchskaute, mit 658 Meter die höchste Erhebung.
Sie betrieben eine Geflügelfarm, die jede Menge Hühnereier produzierte.
Sein Vater und sein jüngerer Bruder hatten eine Jagd. Das ist deshalb wichtig, weil ich darüber noch ein spezielles G’schichterl schreiben will.

Ein paarmal war ich in seiner Familie zu Gast. Hoss, der in Marburg einen 850er Fiat mit Schiebedach fuhr, riss sich gleich den 2002er BMW seines Vaters unter den Nagel, damit machten wir eine Spritztour durch die Dörfer.

Als wir Freitagabends in der gemütlich eingerichteten Wohnküche zusammensaßen, teilte sein jüngerer Bruder die Arbeit auf der Hühnerfarm für die kommende Woche ein.

Am Samstag musste der Wochenmarkt in Siegen bestritten werden.
»Das machen wir!«, meldete sich Hoss, der in seiner Familie natürlich nicht »Hoss«, sondern mit seinem« wirklichen Vornamen »Jürgen« gerufen wurde.

Es wurde eine kurze Nacht. Schon gegen 4 Uhr beluden wir den Sprinter mit Stapeln von Eiern. Jede Menge Zeitungspapier wurde eingeladen, dass die Woche über auch von den Nachbarn gesammelt wurde. Damals waren die typischen Eierkartons noch nicht in Mode und mit irgendwas mussten wir die Dinger ja einwickeln.
Um Punkt sieben waren wir verkaufsbereit.




Nun standen wir nicht einfach hinter unserem Eierstand. Wir machten sowas, was man heute »Performance« nennen würde.
Mit allerlei Sprüchen lockten wir die Kunden an, jonglierten mit den Eiern und verzapften so manchen Blödsinn. Das kam an.
Permanent war der Eierstand umlagert.
Wollte einer sechs Eier, schwatzten wir ihm zehn auf.
Zögerliche Marktbesucher ermunterten wir, Eier zu kaufen. Die seien sehr gesund und dank unserer Eier könne die Manneskraft enorm gestärkt werden. Das mit dem vielen Cholesterin war damals noch nicht so bekannt. Nette Damen bezirsten wir mit Komplimenten und lieben Omas legten wir noch ein Ei kostenlos obendrauf.

Wer schon mal auf dem hamburger Fischmarkt war, kann sich vorstellen, was wir abzogen.

Als am frühen Nachmittag der Marktbetrieb nachließ, nahmen wir unsere Eierkörbe und zogen durch die umliegenden Lokale.

Mit leerem Sprinter fuhren wir zurück. Alle, restlos alle Eier waren verkauft!
Jürgens Bruder kriegte sich nicht ein. »Wo habt Ihr die Eier alle gelassen?«
Hoss wäre nicht Hoss gewesen, wenn er nicht einen deftigen Spruch rausgelassen hätte.
»Lass gut sein Bruderherz, wenn man erfolgreich Eier verkaufen will, muss man mehr in der Birne haben, als Hühnerfutter und Eierpreise! Wir können das, Du nicht!«

Peng, das saß!«
Den Abend verbrachten wir in irgendeiner Dorfkneipe bei reichlich Bier und Doornkaat. Als es ans Bezahlen ging, ließ Hoss alles auf seines Vaters Rechnung schreiben.
Am Sonntagmorgen fuhren wir wieder gen Marburg. Hoss hatte von seiner Familie genug!

Sonntag, 26. März 2017

Hessisches Hinterland



Irgendwann bildeten wir uns ein, mal rauszufahren in das hessische Hinterland westlich von Marburg. Wir fuhren aufs Geratewohl los und landeten in Bad Endbach. Warum es gerade Bad Endbach war, wussten wir schon damals nicht.

Dort prangte uns, wenn ich mich Recht erinnere, am Ortseingang ein Schild entgegen.
Nein, nicht das Ortschild, das wäre ja albern zu erwähnen. Nein, da stand »Zum Fuchsbau« drauf. Es war eine Kneipe, natürlich war es eine Kneipe!
Sie gefiel uns recht gut, erst mal nur von außen, wenig später auch von innen.

In den Nachmittagsstunden war mäßig viel Betrieb und wir fanden drei Plätze am sehr geräumigen und daher gemütlichen Tresen. Die Barhocker hatten sogar Lehnen.

An solche Einzelheiten erinnert man sich noch nach Jahrzehnten, ist das nicht komisch?
Ganz unwichtige Dinge, auf die es gar nicht ankommt. Wir wären sicher auch dortgeblieben, wenn die Barhocker keine Lehnen gehabt hätten.

Es gab auch ein paar Fremdenzimmer, alldieweil Bad Endbach, wie der Name schon sagt, ein Kurort war und auch noch ist.
Da braucht es Fremdenzimmer für all die Leidenden und Geschwächten. So ein Fremdenzimmer mit Kneipe drunter machte aus so manchem müden Kurenden einen glücklichen Kurenden.

Nun musste zwischen mir und Hoss, der ja mit richtigem Namen Jürgen hieß, geknobelt werden. Gisela war außen vor, sie hatte keinen Führerschein.
Richtig, es ging um die Rückfahrt, immerhin etwas mehr als 30 Kilometer und dann noch unbekannte Landstraße. Da kennst Du jede Promille.

Erst diskutierten wir darüber, ob wir es mit »Stein-Papier-Schere« ausbaldowern sollten, oder mit Streichholzziehen.

Letztendlich vertrauten wir die Entscheidung den Karten an. Wer das erste Ass zog, war raus!
Hoss zog es!
Was er sofort mit einem neuen Bierchen feierte und ich stieg auf Apfelschorle um. Gisela war sowieso eher die »Vernünftige«, was den Alkohol betraf.
Keiner von uns rauchte, was man seinerzeit in den Kneipen noch ungehindert tun durfte. Der mittlerweile allseits bekannte »Raucherpapst« war damals nicht mal geboren.

Langsam füllte sich das Lokal. In den frühen Abendstunden wurde es hackevoll. Die meisten Gäste waren Kurgäste, wobei das männliche Geschlecht überwog.

An einem winzigen Tischen nahe am Tresen saßen zwei Mädels und tranken »Sonnenschein«. Das war ein Gesöff aus Libella mit Eierlikör drinnen. Wir prosteten ihnen zu und kamen so ins Gespräch.
Sie würden in der Zigarrenfabrik im Nachbardorf arbeiten.
»Als Zigarren-Dreherinnen?«, wolle ich von Ihnen wissen.
»Ja, als Zigarren-Dreherinnen!«, bestätigten sie unisono.

Es waren nette Mädels und ich verglich sie sogleich mit zigarrendrehenden feurigen Kubanerinnen. Da klappte nicht so hundertprozentig, die Mädels waren blond.

In der »hessischen Walachei« gab es eine Zigarrenfabrik und sogar eine renommierte, wie uns der Wirt bestätigte. Man lernt nie aus!

Es war überhaupt so, dass es damals in und um Marburg kaum dunkelhaarige Mädels gab. Von Pechschwarz will ich gar nicht erst reden. Nein allesamt waren sie hellblond oder dunkelblond, hellbraun und wenns hochkam mal brünett.
Schwarzhaarige Schönheiten gab es äußerst selten.

Heute sieht man häufiger dunkelhaarige Amazonen. Ich traue mich wetten, die meisten sind gefärbt. Das mit dem Haarefärben war damals um 1968/69 noch nicht in Mode, zumindest bei den Mädels nicht.

Gisela war dunkelhaarig. Ich will nicht sagen pechschwarz, aber deutlich dunkler als all die anderen Mädels. Aber Gisela war tabu, sie war unser bester Kumpel.

Ihre weiblichen Reize, die sicherlich vorhanden waren, nahmen wir zur Kenntnis, aber mehr auch nicht.

In der Wirtsstube war der Bär am Toben. All die Kreuzlahmen und Gelenksteifen liefen zur Hochform auf und ich armer Tropf saß vor meiner Apfelschorle.

Irgendwann im Laufe des Abends musste der Wirt Mitleid mit mir bekommen haben. Dass wir Studenten aus Marburg waren, wusste er sowieso schon.

Dann kam sein brillanter Vorschlag.
Er hätte da noch ein Dreibettzimmer frei, sogar mit eigener Toilette und Bad, das könnte er uns für einen Freundschaftspreis für eine Nacht überlassen.

Hoss und ich schauten Gisela an. Wir hatten nichts dabei!
Als wir sie immer eindringlicher anschauten, lachte sie und gab ihr ok.
Sofort bestellte ich mir ein Bier!

Der Wirt meinte, mit 10 DM sei er einverstanden. Wir waren es auch und Gisela bekam sogar ein Nachthemd von der Wirtin.

Ich muss es mal wieder zwischendurch erwähnen, es waren ausgelassene Zeiten, damals in Marburg und natürlich auch in Bad Endbach.

Jedenfalls bezogen wir kurz vor Mitternacht mit reichlich Bettschwere unser Zimmer. Gisela durfte als Erste ins Bad. Wir kringelten uns vor Lachen, als sie mit dem überdimensionierten Nachthemd herauskam.
Hoss und ich schliefen im Doppelbett und Gisela nahm mit dem Einzelbett vorlieb.

Das kurortspezifische Reizklima, es mögen auch die vielen Bierchen gewesen sein, versetzten uns in Bälde in Tiefschlaf.
Ich träumte von zigarrendrehenden Kubanerinnen mit blonden Haaren in geblümten Nachthemden.

Gisela beschwerte sich am nächsten Morgen, wegen unseres Schnarchens sei sie ein paarmal aufgewacht.

Sie hatte halt deutlich weniger Alkohol und das Reizklima alleine sorgte bei ihr nicht für den Tiefschlaf.

Mit einem winzigen bisschen Kopfweh wachte ich auf.
Es war nicht der Rede wert, nur der Vollständigkeit halber erwähne ich es.

Dann durfte das geblümte Nachthemd mit Inhalt wieder als erstes ins Bad. Wenig später stand unsere Gisela so vor uns, wie wir sie kannten!

Mit ein paar Kurgästen zusammen frühstückten wir in einem Nebenzimmer der Wirtsstube.

Ein herrlicher Tag blinzelte durchs Fenster.

Im D-Zug

Ich erzählte schon von der Kneipe in der Ketzerbach, die »Zum D-Zug« hieß.
Wir waren oft dort. Es gab knusprige Hähnchen mit Pommes. Wir mochten die jungen Wirtsleute Klaus und Beate. Da passierte es schon mal, dass wir uns verhockten.

Nach so einem Abend, es war schon finster, lud ich Giselas Fahrrad in meinen Kofferraum, um sie nach Hause zu fahren.
Ich sah noch, dass hinter mir einer mit der Lichthupe blinkte. Ich dachte, der wolle auf meinen Parkplatz, deshalb fuhr ich flugs aus der Parklücke und brauste davon.

Als wir schon eine Weile unterwegs waren, bemerkte ich, dass ich meine Tasche, die ich vor dem Einladen neben meinem Kadett abstellte, vergessen hatte.
Zurückfahren wollte ich nicht, da ich schon ein paar Bierchen zuviel hatte.
Die würde schon jemand finden und abgeben, dachte ich mir. Lebensnotwendiges war sowieso nicht drinnen.

Ich fuhr Gisela nach Hause und war wenig später in meiner Studentenbude.

Am nächsten Morgen sprach ich in der Polizeiwache vor und fragte nach meiner Tasche, ob die wohl jemand abgegeben habe.

Da kam ein junger Polizeibeamter auf mich zu:
»Ah, sie waren das! Ich sah Ihre Tasche neben dem Auto und blinke Sie mit der Lichthupe an, um Sie darauf aufmerksam machen. Als sie trotzdem weiterfuhren, nahm ich die Tasche an mich und fuhr ihnen nach, aber Sie waren zu schnell unterwegs. Ich konnte Sie nicht mehr einholen!«

Nach einem erleichternden Durchatmen meinerseits stellte ich mir das Szenario vor, wie es gewesen wäre, wenn der Beamte mich eingeholt hätte. Der Führerschein wäre weggewesen.

Das war das einzige Mal, dass ich in Marburg eine Promillefahrt hinlegte. Zum Glück ging sie glimpflich aus.
In der Ketzerbach gab es jede Menge Parkuhren. Ein schon älterer Polizeibeamter kontrollierte regelmäßig, ob die Uhren noch am Laufen waren. Waren sie es nicht, verteilte er seine Knöllchen.
Vom D-Zug aus konnten wir die Straße überblicken und jedesmal, wenn der Alte kam, sprinteten wir hinaus und warfen schnell ein Fünferl oder ein Zehnerl nach.

Einmal waren wir nicht achtsam genug. Da stand plötzlich besagter Gesetzeshüter im »D-Zug« und fragte uns, ob er für uns die Parkuhr füttern oder lieber ein Knöllchen ausstellen solle.
Wir gaben ihm schnell das Zehnerl, dass er sogleich für uns einwarf.
Auf seinem Rückweg luden wir ihn auf ein Bierchen ein.
Im Dienst würde er ja nichts trinken, er könne aber mal eine Ausnahme machen.

Freitag, 24. März 2017

Weichtier und Knöterich

Wer kann schon von sich behaupten, morgens um 4 Uhr (!) an einer vogelkundlichen Exkursion teilgenommen zu haben? Nicht einmal, sondern das ganze Sommersemester, jeden Freitag, morgens um 4!
Obwohl wir uns nur schwer von unserer Matratze trennen konnten, war es eine echte Bereicherung.
Zu dritt, Gisela, Jürgen alias Hoss und ich versäumten keine Einzige!

Wir verbrachten ganze Samstage bei Wildbachexkursionen in der Nähe von Bad Laasphe, westlich von Marburg und studierten Köcherfliegenlarven und all so ein Zeugs.

In den Lahnbergen widmeten wir uns der Pflanzenwelt vom Knöterich bis zur Sumpfdotterblume. Wir fanden sogar heimische Orchideenarten.

Es war eine tolle Zeit!

Da gab es einen Doktoranden am zoologischen Institut, der schrieb seine Dissertation über Schnecken. Dieser Mensch brachte uns in diversen Praktika die Vielfalt der Schmeckenpopulation näher.
Da gibt es welche, die stoßen sich während des Liebesspiels »Liebespfeile« in den Körper. Schnecken, zumindest alle Landschnecken, sind Zwitter, Sie vereinigen in sich zwei Geschlechter. Das hindert sie offensichtlich nicht daran, solche sarkastischen Begattungspraktiken anzuwenden.

Wenn besagter Doktorand so einen »Liebespfeil« zwischen zwei Fingern hielt und uns in blumenreicher Sprache den Zeugungsakt einer Weinbergschnecke erklärte, konnte man meinen, er würde selbst dabei einen Orgasmus bekommen!

Der sah auch so aus wie eine Schnecke. In echt! Er sah wirklich so aus!
Wenn wir ihn im zoologischen Institut zu Gesicht bekamen, dann garantiert mit jeder Menge Schneckenhäusern in den Händen. Er kannte sie alle!
Irgendwann, so glaubten wir, würde er selbst ganz zur Schnecke werden.
Seinen Spitznamen hatte er sowieso schon weg. Molluscus!
Vom dem lateinischen Wort »Mollusca=Weichtiere« abgeleitet.

Freitagsnachmittags 14 Uhr hatten wir Wirbellosenkurs.
Da kamen all die schleimigen und hässlichen Viecher dran.

Oft gingen Gisela, Hoss und ich vorher zur Stärkung in unsere Kneipe in der Ketzerbach, kurz vor dem Zoologischen.
Die Kneipe hieß »Zum D-Zug« und war dementsprechend eingerichtet.
Hoss schaute zu tief ins Glas, vielleicht erwischte er auch unter den vielen Bierchen ein schlechtes Bierchen.
Jedenfalls ging er mit reichlich Schlagseite in den Kurs.

Es dauerte bis er sein Mikroskop gerichtet hatte und dann zeichnete er die Umrisse eines Blutegels mehr schlecht als recht aufs Papier und sämtliche Innereien nicht in den Umriss hinein, sondern deutlich daneben.

Der Kursleiter wunderte sich und fragte ihn, was das soll.
Er habe seine eigene Anschauung, meinte Hoss, und überhaupt wäre das sowas von scheißegal, ob er das ganze Gedärmse daneben oder hineinzeichnen würde! Dem Blutegel selber sei das auch schnurzpipe.

Immer wieder wunderten wir uns, wenn der Prof auf der Tafel mit schlafwandlerischer Sicherheit die tollsten anatomischen Gebilde all der Viecher skizzierte.

Bis wir dahinter kamen, dass er vorher sehr zarte und für uns aus der Entfernung unsichtbare Hilfslinien und Punkte auf der Tafel vorzeichnete.

Wir passten ihn deshalb vor Kursbeginn ab und warteten, bis er sein Vorgemälde vollendet hatte.
Danach gingen wir in den Hörsaal und ruck zuck war alles weggewischt. Dabei stand Gisela Schmiere und ich wischte die Tafel trocken.
Nun harrten wir der Dinge, die da kamen.

Schon nach wenigen Minuten hielt er plötzlich vor der Tafel inne. Sein Gesichtsausdruck war für einen Moment ratlos.
Dann fixierte er uns drei, wir saßen in der dritten Reihe auf unserem Stammplatz.

»Wenn da mal nicht die Dreierbande am Werk war!«, sagte er mit ärgerlichem Unterton.
Gisela konterte: »Herr Professor, sie vermuten nur, wir wissen es!«
Er hat uns den Streich nicht nachgetragen und wir haben uns auch nie mehr an der Tafel zu schaffen gemacht.

Donnerstag, 23. März 2017

Gesang aus dem Kofferraum

Ich wohnte außerhalb Marburgs in der Stadtwaldstraße bei einer ganz lieben Familie, die das Kinderzimmer ihrer 12 jährigen Tochter für mich herrichtete. Studentenunterkünfte waren seinerzeit in Marburg rar.

Meinen R4 gab es noch nicht, aber einen Rally Kadett in silbermetallic mit Stahlschiebedach. Ein Gefährt mit zwei Vergasern. Mehr an Technik wusste ich nicht, nur, dass ein 1900er-Kubik-Motor aus ihm einen zornigen und schnellen Boliden machte.

Marburg war damals die letzte Stadt in Hessen, die, wenn man ein Ferngespräch nach ausserhalb führen wollte, keine automatische Fernwahl hatte. Man musste immer über das Fernamt das Gespräch anmelden und wurde vom »Fröllein vom Amt« weitervermittelt.

So richtig vorstellen kann man sich das heute nicht mehr. Damals kannten wir es nicht anders.

Das erste, damals noch analoge öffentliche Funknetz der Bundespost, gab es ab 1958. Es war als A-Netz bekannt.
1972 folgte das B-Netz.
Die darüber geführten Gespräche konnten von jedem einigermaßen in Funktechnik Versierten mitgehört werden.

Das B-Netz hatte 27 Tausend Teilnehmer deutschlandweit. Die Geräte waren wesentlich größer als ein Schuhkarton und noch mit Röhren bestückt. Wenn man sie vom Auto aus betrieb, musste der Motor laufen, sonst war die Batterie binnen null-komma-nix leer.

Unschwer erkennen Sie, dass sowas keine Option für uns Studenten war. Wir lebten damals um 1968/69 noch in der A-Netz-Ära, in einer handylosen Zeit.
Aber, wir waren ohne Smartphone mindestens genau so glücklich.

An einem wunderschönen Frühsommertag fuhren Hoss und ich raus aus Marburg zur Dammühle. Damals und wohl auch heute noch ein gut besuchtes Ausflugslokal.
Gisela war, aus was für Gründen auch immer, ausnahmsweise nicht dabei.

Dort gab es sehr gehaltvolle Beerenweine. Ich kann mich an Johannisbeer-, Erdbeer- und Brombeerweine erinnern.


Trotzdem bestellte jeder ein Bier, die Fruchtweine waren uns allesamt zu süß.

Am Nebentisch saßen vier Damen, die den Beerlesweinen zusprachen. Sie mussten schon eine Weile dort gesessen haben, denn die illustre Runde war uns durch Lachen und Kichern sowie mehrfachem Zuprosten aufgefallen.

Hoss ging an ihren Tisch und fragte, ob die Damen heute alle ihren Obsttag hätten. Als Antwort bekam er ein »selbstverständlich, jede Woche!«
Nun rückten die Ladys zusammen und wir setzten uns zu ihnen. Die frohe Runde wurde unterbrochen, als die Damen zum Aufbruch mahnten, sonst würden sie den Bus in die Stadt versäumen.

Auch jetzt war Hoss wieder zur Stelle und schlug ihnen vor, wir könnten sie ja in einem halben Stündchen mit zurück nach Marburg nehmen. Deshalb tranken sie noch einen allerletzten Beerleswein, dann brachen wir auf.

In meinem Rally Kadett waren die Sitzplätze begrenzt, deshalb setzte sich Hoss in den Kofferraum, der Deckel blieb offen. Drei Damen quetschten sich auf den Rücksitz und eine nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Mit viel Hallo und Gekicher fuhren wir gemächlich Richtung Stadt. Hoss hantierte mit einem Regenschirm, den er im Kofferraum fand, herum und sang.
Die angeheiterte Lady neben mir, alle nannten sie Lotte, wies uns den Weg in eines der Marburger Neubaugebiete. Dort würde sie wohnen.

So einen schönen Nachmittag hätten sie lange nicht mehr erlebt, sagten sie unisono, als wir vor einem stattlichen Haus mit Vorgarten hielten. Ob wir nicht auf einen Drink hereinkommen wollten.
Wir schlugen die Einladung selbstverständlich nicht aus!

Aus dem einen Drink wurde ein zweiter und ein dritter. Die Kellerbar war exquisit eingerichtet und mit so manchem guten Tropfen bestückt.

Schließlich fuhr uns der mittlerweile nach Hause gekommene Ehegatte von Lotte spätabends nach Hause. Meinen Rally Kadett ließen wir vor dem Haus stehen, in der Hoffnung ihn am nächsten Morgen auf Anhieb wiederzufinden.

Ich pennte bei Hoss auf dem Fußboden mit lediglich einer Wolldecke als Unterlage.

Es dauerte, bis wir meinen Rally Kadett wiederfanden. In dem Neubaugebiet sahen viele Wohnstraßen ähnlich aus.

Gerade als wir wegfahren wollten, stand Lotte vor der Haustüre und bat uns auf einen Kaffee herein.
Wir nahmen die Einladung dankend an und meinten mit einem Augenzwinkern, wenn es denn beim Kaffee bleiben sollte, wären wir dabei!
Es blieb bei einem Kaffee, allerdings mit herrlichen Croissants.
Vorsichtig erkundigten wir uns noch, ob ihr Ehemann nicht sauer auf uns gewesen sei.

Mit einem »I wo!«, und einem Lachen verneinte sie das. Er sei einiges von ihr gewohnt und was Schlimmes sei nun mal gar nicht passiert.
Dann bestellte sie uns noch liebe Grüße von ihm.
So nebenbei erfuhren wir, dass er Honorarprofessor an der neurologischen Universitätsklinik sei.

Hoss und ich ließen es uns nicht nehmen, dem netten Herrn Professor Tage später eine edle Flasche Wein in die Klinik zu bringen. In seinem Arbeitszimmer plauderten wir noch ein wenig und schieden als Freunde.
Wir sahen uns nie wieder.

Mittwoch, 22. März 2017

Mein Freund Hoss


und unsere gemeinsame Freundin Gisela

Mit richtigem Namen hieß er Jürgen, aber alle nannten ihn »Hoss«, nach dem großen Dicken der Cartwright Brüder aus der Westernserie »Bonanza«. Jürgen hatte eine ähnliche Statur.
Zusammen absolvierten wir vor unserem Studium während der Bundeswehrzeit einen Sanitätslehrgang in Veitshöchheim.
In Marburg trafen wir uns im Hörsaal wieder.

Jürgen wollte Zahnmedizin studieren. Wegen des damals schon recht strengen Numerus clausus sowohl in Medizin als auch Zahnmedizin begannen wir ein Studium der Biologie, Chemie und Physik, immer in der Hoffnung, nach dem ersten oder spätestens zweiten Semester an die medizinische Fakultät zu wechseln.

Zum Wintersemester 1968/69 begannen zwei wunderbare und ereignisreiche Semester an der Philipps-Universität zu Marburg.

Hoss hatte eine winzige Studentenbude in 1. Stock eines Mietshauses direkt über dem Eingang ohne eigene Toilette, geschweige denn Bad. Die Toilette befand sich im 4. Stock. Im Parterre war ein Discounter untergebracht.

Ausgerechnet dort feierten wir die tollsten Feten. Wir besorgten uns den billigsten Lambrusco mitsamt altbackenem Weißbrot vom Discounter unter uns, dann konnte die Sause beginnen.

Natürlich gingen wir nicht jedes Mal in den 4. Stock zum Pinkeln. Da musste das Waschbecken im Zimmer gut genug sein.

Gisela lernten wir beide in der Zoologievorlesung kennen. Sie studierte Biologie und Sport, eine aufreibende Fächerkombination.
Immer wieder waren Ihre Vorlesungstermine dicht gedrängt, sodass Hoss oder ich sie mit dem Auto zu ihrem nächsten Termin fuhren, damit sie rechtzeitig hinkam.

Gisela musste ihr Studium alleine finanzieren. Ihr Vater, ein evangelischer Pfarrer, war schon vor Jahren gestorben.
Extravaganzen konnte sie sich mit ihrer kleinen Waisenrente nicht erlauben.
Wir lernten zusammen und saßen auch immer im Hörsaal beieinander.
Da blieb es nicht aus, dass Gisela Jürgens Bude kennenlernte. Sie lag halt sehr zentral mitten in Marburg.

Nachdem sie an einem Abend zum dritten mal in den 4. Stock zum Pinkeln hochging, schlugen wir ihr vor, auch vom Waschbecken gebrauch zu machen.
Sie hatte es bei Hoss und mir ja schon miterlebt und keinen Anstand daran genommen.
Sie war nur über unsere Freizügigkeit ihr gegenüber überrascht und meinte, bei Männern sei das ja recht einfach.

Ein paar Tage später saßen wir wieder in Jürgens Studentenbude und lernten. Die Zweiliterflasche Lambrusco war geöffnet und das altbackene Weißbrot zurechtgeschnitten, als Gisela uns beim Wort nahm.

Ein Stuhl wurde mit der Lehne ans Waschbecken gerückt.
Jürgen alias Hoss meinte, als Sportstudentin müsse sie das locker hinkriegen.

Gisela stieg auf den Stuhl, wir legten eine Decke um sie, dann ließ sie unter der Decke die Jeans herunter, setzte sich auf die Lehne und pullerte ins Waschbecken.
Selbstverständlich drehten wir uns als Gentlemen vorher um.
Es ging kein Tropfen daneben.
Sie war ein unkompliziertes Mädchen!

Später brauchte sie keine Decke mehr.

Allerdings muss ich dazu sagen, dass das Waschbecken durch ein winziges Mäuerchen, wenn auch offen, vom übrigen Zimmer abgetrennt war.

Gisela wurde zum echten Kumpel.
Im Universitätsbetrieb machten wir alles zusammen. Da gab es uns nur zu dritt. Egal wo wir hinkamen.
Weder Hoss noch ich wären auf den Gedanken gekommen mit Gisela eine Beziehung anzufangen, dabei war sie ein hübsches und nettes Mädchen.

Es war nicht meine und auch nicht seine Gisela, es war unsere Gisela!

Samstag, 18. März 2017

Schillerlocken in Marburg

Das Sommersemester ging zur Neige und unser Stiftungsfest rückte näher. Jede Studentenverbindung hat so ein Fest. Da wird mit viel Pomp und Tamtam ein ganzes Wochenende lang, meistens am Semesterende, gefeiert.

Zu unseren Festivitäten kamen zahlreiche Ehemalige mit der ganzen Familie. Diese Ehemaligen wurden und werden auch heute noch in allen Studentenverbindungen mit »Alter Herr« tituliert, da es sich um reine Männerbünde handelt.
Das klingt heute reaktionär und frauenfeindlich, war aber nun mal so!

 Unter uns Bundesbrüdern war man per du, egal ob Erstsemester, Konzernchef oder Universitätsprofessor.
Die wenigsten der »Alten Herren« waren Methusalems. Die meisten hatten Karriere gemacht und gewichtige Posten inne. Deshalb erhoffte sich so mancher aus unseren Reihen eine wohlwollende Förderung durch die »Alten Herren«.
Die Hoffnung war berechtigt, wie dutzende von Beispielen aus der Vergangenheit zeigten. Die Juristen unter uns konnten am meisten profitieren.

Ich war noch nicht so lange aktiv, gerade mal im 2. Semester. Ein Stiftungsfest hatte ich noch nie mitgemacht. Eine Freundin hatte ich auch keine, so wurde mir die Tochter eines »Alten Herren« zugeteilt, die ich zum Ball führen und betanzen sollte.

Der »Alte Herr« mit Gattin und Tochter würde am Freitagnachmittag mit dem Zug aus Hamburg kommen. Ich sollte sie am Bahnhof abholen,  zum Hotel geleiten und mich um die Tochter kümmern.

Niemand kannte den Knaben. Die letzten Jahre sei er jedenfalls nicht zum Stiftungsfest erschienen.

Internet gab es auch noch nicht, sonst hätte man die Sache sicher mal kurz googeln können.

Für mich sehr wichtig;
Wie sieht die Tochter aus?
Niemand wusste es.

Ich wurde die Tage vor dem Fest von so manchem Bundesbruder aufgezogen:
Da war von einem »Mauerblümchen« die Rede und von einer »grauen Maus«.

Auch derbere Sprüche bekam ich zu hören:
»Bestimmt hat sie krumme Beine und schielt!«

Vor einem »Besen« wurde ich gewarnt, »die will noch einen abbekommen!«.

Jedenfalls lachten sich die meisten schlapp, warum gerade ich dieses Los gezogen hatte. Auch mit gut gemeinten Ratschlägen wurde ich versorgt.
Ein paar fanden tröstende Worte, wie:
»In drei Tagen ist alles vorbei, Du musst nur durchhalten!«
Immer kam ein hämisches Grinsen hinterher.

Mir war schon ganz mulmig, als ich am Freitag in Richtung Hauptbahnhof marschierte. Ich war auf so Einiges gefasst.

Der D-Zug kam pünktlich, ICE oder sowas ähnliches gab es noch nicht.
Es stiegen eine Menge Leute aus. Da ich annahm, dass der »Alte Herr« eher im oberen Segment der Gehaltsskala angesiedelt war, postierte ich mich in der Nähe des  Erste-Klasse-Waggons.
Ich lag goldrichtig!

Ein graumelierter Herr im dunklen Anzug stieg aus dem Abteil. Er hatte sein Studentenkäppi, auch Biertönnchen genannt, mit unseren Verbindungsfarben auf.
Er half einer elegant gekleideten Lady aus dem Waggon.
Mir schlug das Herz bis zum Hals.

Ich machte mich bemerkbar, indem ich mit meiner Studentenmütze winkte und auf sie zuging.

Dann sah ich sie! All meine Sinne schlugen die wildesten Kapriolen. Mit allem hatte ich gerechnet, wirklich mit allem.
Damit nicht!
Überwältigt von dem süßesten Mädel im ganzen Erdenrund musste ich erst mal kräftig durchatmen. Nicht nur ihre schulterlangen blonden Schillerlocken waren eine Pracht.

Dann machten wir uns bekannt.

Der »Alte Herr« hieß Rüdiger und war Generaldirektor eines altehrwürdigen Hamburger Handelshauses. Seine Gattin, blond und alles andere als eine »kühle Norddeutsche« empfing mich mit einem herzlichen Lachen, dann schob sie ihre Tochter vor!
»Das ist Evelyn!«

Das Töchterchen machte einen auf ganz schüchtern, spielte mit ihren Schillerlocken und streckte mir die rechte Hand entgegen. Ihre Augen strahlten. Ich war hin und weg, aber sowas von hin und weg.
Ich hatte wohl auch bei ihr gepunktet.

Rüdiger rief ein Taxi, die Koffer wurden eingeladen, dann ging es zum besten Hotel am Platz. Unterwegs gab es den ersten Smalltalk. Er wollte wissen, was ich studierte, Hobbys und halt alles, was man so beim Kennenlernen fragt.

Ich erfuhr, dass Evelyn gerade siebzehn geworden sei und das erste mal einen Stiftungsball besuchte.
Wie sie mir später erzählte, wollte sie gar nicht mitfahren.

Am Hotel angekommen nahm mich Rüdiger zur Seite, steckte mir ein paar Scheinchen zu und meinte, ich solle seiner Tochter Marburg zeigen.

Zunächst bezogen sie ihre Zimmer, ich wartete solang im Foyer.

Flugs zählte ich die Moneten, die er mir zusteckte.
Hundert DM, eine Menge Geld damals in den Siebzigerjahren.

Nach wenigen Minuten eilte Evelyn die Treppe herunter.
Mein Herz sprang vor Freude.
Die werden alle Stielaugen machen, wenn wir auf dem Stiftungsball erscheinen!

Gut zwei Stunden tobten wir durch die Marburger Oberstadt, tranken irgendwo einen Kaffee, alberten herum und vertrieben uns die Zeit bis 19 Uhr. Dann sollten wir wieder im Hotelfoyer sein.

Den Abend verbrachten wir zu viert in KARZER, einer altenehrwürdigen Studentenkneipe, aus der der Herr Papa seinerzeit schon den einen oder anderen Rausch nach Hause schleppte, wie er uns gestand.
Rüdiger blühte auf. Er erzählte Anekdoten aus seiner Studentenzeit. Wir lachten viel, und hatten einen kurzweiligen Abend.
Von Evelyn erfuhr ich, dass sie später mal Literatur und Germanistik studieren wolle.

Hundemüde sank ich kurz vor Mitternacht in mein Bett.
Ich freute mich riesig auf den Stiftungsball am Samstagabend.
Alle werden sie vor Neid erblassen. So von wegen Mauerblümchen und graue Maus.


Die Ballnacht

Traditionell eröffneten die Mediziner mit einem Walzer den Stiftungsball. Ich war mit Evelyn einer der ersten auf der Tanzfläche.

In einem atemberaubenden Ballkleid, in tiefem Blau gehalten, zog sie alle Blicke auf sich.

Und ich, ich alleine hielt sie im Arm und schwebte mit ihr über das Parkett. Ihre Schillerlocken flogen im Takt. Es war fantastisch!
Meine Bundesbrüder bekamen Stielaugen. Allesamt kamen sie aus dem Staunen nicht heraus.

In dieser herrlichen Spätsommernacht schlenderten wir über die weitläufige Terrasse, plauderten über dies und jenes, immer verfolgt von den Blicken meiner Bundesbrüder..

Einen Tanz absolvierte ich mit Evelyns Mutter, das gehört sich einfach so. Währenddessen bemühte sich der Papa um seine Tochter und versuchte sich im Diso Fox.
»Paps kann überhaupt nicht tanzen!«, bemerkte Evelyn hinterher. Ich hingegen bekam von ihrer Mutter ein dickes Lob ob meiner Tanzkünste.
Ohne jetzt angeben zu wollen, ich war ein guter Tänzer!

Wir ließen so gut wie keinen Tanz aus.
Mit Argusaugen überwachte ich eventuelle Konkurrenz, die Evelyn auffordern wollten.
Sie kamen allesamt zu spät, weil wir vor ihren Augen auf die Tanzfläche flogen.
Ich ließ niemandem eine Chance! Es war unsere Ballnacht!

Die kleinen sind die Sektzipfel


Um Mitternacht überreichte ich ihr ein Weinband, auch »Sektzipfel« genannt mit einer Widmung drauf. Das war damals so üblich.

Gegen drei Uhr brachte ich Evelyn zurück zum Hotel. Ihre Eltern hatten sich schon vorher zurückgezogen.

Wir verabredeten uns für Sonntagmittag zum Essen.

 Ich muss gestehen, es kam bei mir so etwas wie Wehmut auf, als wir zusammen im Restaurant saßen. Ich stocherte in meinem Menü herum. Immer und immer wieder kamen die berauschenden Bilder der Ballnacht hoch.

Um 15 Uhr ging der Zug.
Beim Abschied auf dem Bahnsteig schlug mir Rüdiger auf die Schulter: »Du bist der erste Mediziner, den ich leiden kann!«, beteuerte er. Er war Jurist.

Ich verabschiedete mich von Evelyns Mutter. Sie gab mir einen flüchtigen Wangenkuss und meinte, wenn ich irgendwann mal in Hamburg sei, solle ich doch vorbeischauen.

 Evelyn sagte ein schlichtes »Danke, es war sehr schön mit Dir!«, dann hauchte sie mir einen Kuss auf die Backe.
Er brannte wohlig wie Feuer.
Das war's dann!

Ich sah sie nie wieder.
Die Erinnerung an Evelyn mit ihren Schillerlocken verblasste.

Viel Jahre später war ich oft in Hamburg.
Das Erlebnis einer wunderbaren Ballnacht konnte mir niemand nehmen. Das wollte ich so in Erinnerung behalten.

Seit meiner Studentenzeit war ich nicht mehr in Marburg.
Es war eine intensive Zeit.
Vielleicht hatte ich Angst davor, diese Erinnerungen durch einen neuerlichen Besuch zu zerstören.

Donnerstag, 16. März 2017

Die Wiesn


Wenn man in München studierte, gehörte ein Oktoberfestbesuch dazu.

Ich wohnte nicht weit weg von der Wiesn. In 10 Fußminuten war ich mittendrin . Das Verlangen nach einer frisch gezapften Maß und einem Steckerlfisch bekam am Bavariahügel seinen ersten Dämpfer.

Dort lagen schon um die Mittagszeit zu Füßen der Bavaria die Bierleichen auf dem Rasen. Männlein wie Weiblein kotzten sich die Seele aus dem Leib oder ließen, sitzend oder liegend, ihrer Notdurft freien lauf. Selbst kopulierende Pärchen waren keine Seltenheit. Ein Münchner Boulevardblatt betitelte eine Story mit »München kotzt«.


Es war kein schöner Anblick. Fast jeden Tag führte mein Weg ins Klinikviertel dort vorbei.

Ich war ein seltener Oktoberfestbesucher. Es war sauteuer. Überall Gedrängel und Geschubse. Nie trug ich einen Rausch von der Wiesn nach Hause, nie!


 
Über allem schwebte nicht nur die Bavaria, sondern es waberte auch ein penetranter Geruch nach abgestandenem Bier, ranzigem Fett und Erbrochenem.

 



Bei meinem ersten Besuch kostete die Mass 2,50 DM. Richtig! Zweimarkfünfzig! Das muss so um 1970 gewesen sein.
Bei meinem letzten Wies’n-Besuch, zehn Jahre später, waren 5,00 DM angesagt.

Danach war ich niemehr auf dem Oktoberfest.

Gelegentlich parkte ich auf der Wiesn, wenn irgendwelche Kongresse im Messezentrum veranstaltet wurden. Ansonsten mied ich das Areal oder umfuhr es weiträumig.

 *****   *****   *****   *****


Ha, da fällt mir doch noch ein kleines G'schichterl ein, dass sich allerdings viel später zutrug.

Während des Chirurgenkongresses, der im Messezentrum auf der Schwanthalerhöhe stattfand, parkte ich mein Auto, es war nicht mehr der R4, auf der Wiesn.

Als ich in den späten Nachmittagstunden vom Kongress zurückkam, gab mein Anlasser keinen Mucks mehr von sich. Ich hatte das Licht angelassen.
Mit automatischer Abschaltung, wenn der Zündschlüssel gezogen wird, war nichts, gab es noch nicht!

Meinen R4 hätte ich mit der Anlasserkurbel starten können.

Der Zufall, oder nennen Sie es Fügung, wollte es. Wenig später kam ein Polizeiwagen lagsam die Parkreihen entlanggefahren.
Sie sahen mich und meine Verzweiflung.
»Geht nichts mehr?«, fragte einer der Polizisten!«
Innerlich Hoffnung schöpfend antwortete ich:
»Das Licht war an!«
»Ham wer glei!«
Nun fuhr er seinen BMW, die Münchner Polizei fuhr ausschließlich BMW, neben meinen Wagen. Der andere öffnete den Kofferraum und kruschte herum.
»Sackl Zement!«, sagte er ärgerlich, »wo ist denn das Ladekabel?«
Offensichtlich war selbiges nicht an Bord.
Mit einem »Zifix« und »Mir kemman glei wieder!«, brausten sie davon.
Wenig später kamen sie mit einem Ladekabel zurück.

Der Rest war Routine. Mein Auto sprang an.
»Nimmer abstellen!«, bekam ich noch mit auf den Weg.

Dann brauste ich davon. Wieder einmal musste ich der Münchner Polizei ein großes Lob austellen. Es waren und bleiben halt Pfundskerle.

Danke Freunde!

 *****   *****   *****


Und noch ein G’schichterl fällt mir gerade ein. Sogar eines mit meinem R4.

Wie oben erwähnt fuhr ich fast täglich an der Wiesn vorbei ins Klinikviertel. Während des Oktoberfestes war der Verkehr rund um die Wiesn chaotisch. Ich stand vor einer Absperrung und suchte eine Möglichkeit, auf die andere Seite der Wiesn zu kommen. Wieder war es die Münchner Polizei, die mir half.

»Sehen’s nicht, da ist alles dicht!«, raunzte einer der Beamten mich an. »Kehren’s um!«

»Ich muss dringend in die zweite Frauenklinik, es pressiert!«

Kurz entschlossen räumte einer der Beamten die Sperre zur Seite, setzte sich ins Fahrzeug und rief: Bleiben’s dicht hinter uns! Auf geht’s!«

Nun ging es mit Blaulicht von der Theresienhöhe an der Bavaria vorbei die Matthias-Pschorr-Straße entlang, quer über die Theresienwiese. Diese Pfundskerle geleiteten mich bis zur Frauenklinik, hupten, winkten kurz und weg waren sie.

Danke Freunde!

Dienstag, 14. März 2017

Ein Hauch von grosser Welt

Bei Gudrun und Leo im Pfeufer Stüberl traf ich immer nette Menschen, nur keine Studenten. Dafür hatte ich das Alleinstellungsmerkmal.
Recht bald wurde ich als außerordentliches Mitglied bei den ehemaligen Hotelfachabsolventen aufgenommen, kurz HOFA genannt.
Regelmäßig trafen sie sich in meiner Stammkneipe und weil ich sowieso immer bei ihnen rumhockte, könnte ich ja gleich Mitglied werden.
Das war eine durchaus logische Begründung, die ich ohne Einschränkung mittrug.

In dieser Vereinigung war die Creme de la Creme der Münchner Hotellerie versammelt und ein einziger Medizinstudent!
Darauf bin ich heute noch stolz.

 Einer unserer Mitglieder war im neu errichteten Sheraton in der Hotelleitung tätig. Prompt wurden wir von ihm zu einem Exklusivrundgang eingeladen. Vollständig heißt das Hotel heute  »Sheraton Munich Arabellapark Hotel«.

So passierte es, dass wir kurz vor Mitternacht im Pool im 23 Stockwerk landeten.


Bei der Eröffnungsfeier und dem anschließenden Rundgang der Großkopferten, so erzählte uns der Manager, dessen Namen mir entfallen ist, seien 8 weiße Bademäntel aus den Suiten geklaut worden.
Tage später bei der Besichtigung durch das gemeine Volk habe nur einer gefehlt.
Gier und Raff waren auch seinerzeit schon bei den oberen Zehntausend weit verbreitet.
Wir nahmen selbstverständlich keine Bademäntel mit!

Ich kann mich an eine phantastische Einladung ins Mövenpick am Lenbachplatz erinnern. Auch dort war einer der Unseren in leitender Position tätig.

Selbstverständlich waren wir auch beim Feinkost Käfer zu Gast, bemängelten allerdings die fehlenden Stoffservietten bei den hochpreisigen Menüs.

Gudrun und Leo schleppten mich überall mit.

Ein kulinarischer Leckerbissen der besonderen Art waren die Feinkostmessen, die nur dem Fachpublikum offen stand. Das alte Messezentrum lag ja direkt neben dem Pfeufer-Stüberl.
Dort konnte man alles probieren. Die erlesensten Häppchen wurden kredenzt. Es war Schlaraffenland pur und ich war mittendrin.

Bei anderen Messen, die ausschließlich Fachpublikum vorenthalten waren, hatte ich einen anderen Trick hineinzukommen.

In meine Stammkneipe kam auch der eine oder andere Angestellte der Messegesellschaft.
Darunter war auch einer, der bei den Messen am Eingang stand und die Einlasskarten kontrollierte.




Als ich ganz nebenbei am Stammtisch verlauten lies, wie gerne ich mir mal die Schmuckmesse von innen anschauen würde, meinte er nur: »Kommst morgen Nachmittag ab 14 Uhr an den Südeingang. Dort habe ich Dienst. Ich lasse dich rein!«
Gesagt getan. Es klappte! Ist man erst mal drinnen, kümmert sich keine Sau mehr um die Eintrittskarte.

So folgten noch einige Fachmessen, die ich auf diese Weise besuchen konnte.

Sie dürfen jetzt nicht glauben, dass ich mich in kulinarischen Höhen verzettelte oder im Messezentrum meine Zeit verbrachte.

Nein, ich studierte knallhart weiter. All meine Prüfungen legte ich zum frühestmöglichen Zeitpunkt ab.
Mein »Dr. med.« war in dem Moment fertig, als ich das Staatsexamen in der Tasche hatte. Damit begann ich nämlich schon während meiner Studentenzeit.

Montag, 13. März 2017

Das mit der Queen in München

»Lieserl!«, sagte ich zu ihr, »hänge Dich bei mir ein, dann tust Du Dich leichter!«
Nun hakte sich ihre Majestät, Elisabeth die II., Königin von England, bei mir unter und zusammen schritten wir auf den Balkon, um dem Volk zuzuwinken.
Prinz Philipp hatte es nicht so eilig. Er erzählte meiner Frau noch schnell einen fast unanständigen Witz fertig, dann folgten sie uns.

Das glauben Sie jetzt natürlich nicht!
Das übersteigt Ihre Vorstellungskraft.
Meine nicht!

Heute Nacht gegen vier Uhr hatte ich diesen Gedankengang. Der war so intensiv, ich spüre jetzt noch den Arm ihrer Majestät.
Es heißt nicht umsonst:
»Schreiben ist Leidenschaft!«
Exakt diese Leidenschaft lässt gigantische Bilder im Kopf entstehen. Da ist die Queen nur eine unter Vielen.

Das erinnert mich an eine Begebenheit meiner Studentenzeit in München. Damals fuhren ja immer wieder die tollsten Staatskarossen am »Hotel Bayerischer Hof« vor.
Es war die Absteige für die illustren Gäste, wenn sie München besuchten.
Die Livrierten rissen die Türen auf um die  Hochwohlgeborenen ins Foyer zu geleiten.

Wir spielten so eine Szene, aus reinem Jux und Tollerei, mit einer kleinen Abänderung im Protokoll nach.

Damals chauffierte ich ihre Majestät mit meinem R4 vor die Nobelherberge, da ihr Rolls-Roys einen Motorschaden hatte.
In unserer Phantasie gab es absolut nichts, was es nicht gab. Warum sollte ich Elisabeth II. nicht in meinem R4 herumkutschieren?

Dabei waren wir gar keine Monarchisten, aber dieser Gedanke gefiel uns trotzdem sehr gut.

Unsere Kommilitonin Bianca mimte die Queen, Robert und Sebastian stellten sich als Livrierte zur Verfügung.
Bianca trieb sogar noch eine einigermaßen gutaussehende Handtasche auf, um authentischer rüberzukommen. Allerdings bestand sie darauf, ihre Jeans anbehalten zu dürfen. Schließlich sei das erst eine Probe.

Zirka hundert Meter vor dem Hauptportal des Hotels ließ ich die beiden Livrierten aussteigen.




Sie hatten sich, in Ermangelung eines standesgemäßen Gehrocks mit vielen Tressen dran, je eine Jacke der freiwilligen Feuerwehr Dietramszell übergezogen. Robert war dort aktives Mitglied und selbst im Besitz so einer Uniformjacke. Eine zweite konnte er leicht organisieren. Die Schildmütze durfte natürlich nicht fehlen.
.
Sie mussten das letzte Stück zu Fuß gehen. Ich wartete mit der Queen alias Bianca, bis sie Posten bezogen hatten, dann fuhr ich vor.


Ein echter Livrierter mit echten Tressen beobachtete das Spektakel vom Eingang des Hotels aus.

Ein R4 vor seiner Hotelanfahrt, das gab ihm zu denken.
Er verschwand kurz im Inneren.

Kaum kam ich mit meinem zur Staatskarosse umfunktionierten R4 zum Stehen, schon eilten Robert und Sebastian herbei, um Bianca alias Elisabeth II. mitsamt Handtasche aus dem Wagen zu helfen.

Dann passierte das Malheur. Im Übereifer griff sich Sebastian die königliche Handtasche.
Bianca wollte sie nicht hergeben.

»Hast Du irgendwo mal gesehen, dass die Queen ihre Handtasche aus der Hand gibt?!«, bläffte sie ihn an.

Mein Freund und Kommilitone Sebastian antwortete darauf:
»So ein Zeugs schaue ich mir im Fernsehen nie an!«

Dann fuhr auch schon die Polizei vor.


Mit blumenreichen Worten erklärten wir den beiden Schupos unsere Absicht, in bälde ein kleines Filmchen zu drehen, mit besagtem Inhalt. Das sei heute die Generalprobe gewesen.


Nun, mit dem Filmedrehen war das damals nicht so einfach wie heute. Da gab es ausser Super 8 nichts!

Ich hatte auch den Eindruck, dass uns die beiden Polizisten keinen Glauben schenkten.

»Ihr habt den richtig erschreckt!«, meinte der Ältere der Beiden und nickte zu dem echten Livrierten rüber, der wieder Posten bezogen hatte.

»Mit einem R4 vor dem Bayerischen Hof, das muss euch erst mal jemand nachmachen!"


Das mit der Queen und der Handtasche war für ihn nicht erwähnenswert.

Sonntag, 12. März 2017

München in den Siebzigern

Auch in München saß in den späten Siebzigern in fast jedem Auto ein Wackeldackel hinter der Heckscheibe. Daneben versteckte sich eine Toilettenpapierrolle unter einer gehäkelten Haube.
Mein R4 hatte keine rückwärtige Ablagemöglichkeit für einen Wackeldackel.
 
Aber ich hatte immer Toilettenpapier an Bord, wenn auch ohne was Gehäkeltes drumherum.

 
Selbst einen Fuchsschwanz konnte ich nicht an einer Antenne befestigen, ich hatte gar keine. Ohne Radio wäre sie sinnlos gewesen.

So musste ich halt mit meinem halb aus der Zeit gefallenen und schmucklosen R4 ohne diese Utensilien durch München kutschieren.

Eigentlich war mir das wurscht!
Dann hatte ich eben keinen Wackeldackel und keinen Fuchsschwanz.
Es gab schlimmere Dinge in einem Studentenleben.

Schon bald wurde ich in München zum Weißbierfan.

Während meiner Studentenzeit hatte das Hefeweizen seinen Siegeszug durch die bayrischen Lande noch nicht angetreten.

Wenn man damals ein Weißbier bestellte, brachte einem die Bedienung allenthalben eine Kristall- oder Champagnerweiße mit einer Zitronenscheibe drinnen.

Heute meint der bayrische Brauerbund, Zitrone habe in einem Weizenbier nichts verloren! So ändern sich die Zeiten.

Nördlich des Weißwurstäquators war tote Hose! Da war nix mit Weißbier.
Heute kriegen Sie das Zeugs sogar am Nordpol.

Spätestens nach dem zweiten Schluck musste erst mal ein langanhaltender Rülpser rausgelassen werden.
Was für den Weißbiertrinker selbst eine Wohltat war, kam für den Nebenmann respektive Nebenfrau eher unanständig daher. Das focht aber einen gestandenen Bayern nicht an!

Im Restaurant beim Essen unterdrückte man diese Wohltat selbstverständlich, irgendwann hatte man ja doch eine Erziehung genossen.

Mein Stammlokal war das:
Das gibt es heute noch!
Die hatten Paulanerbier und auch sonst waren die zwei jungen Wirtsleute nett. Zum Futtern gab es auch was Ordentliches. Leo und Gudrun hatten ihre Gastronomie von der Pike auf, bei einer der renommiertesten Hotelfachschulen gelernt.

Dann passierte etwas, was die gesamte Gastronomie weltweit verändern sollte.
1971 kam McDonald’s nach Deutschland und ausgerechnet in die Welthauptstadt der Weißwurt.

Vis-a-vis vom Pfeufer-Stüberl eröffnete einer der ersten McDonald’s Filialen am Herzog-Ernst-Platz.
Im Angebot waren: Hamburger, Cheeseburger, Pommes, Coca Cola, Limo und Kaffee.
Der Hamburger kostete 90 Pfennig.
Bedienstete erzählten mir damals, dass sie die Kartoffel für die Pommes noch selber schälten und schnitten.

Leo befürchtete anfangs einen Umsatzrückgang in seinem Stüberl. Offensichtlich war das nicht der Fall. Es konnte sogar passieren, dass wir uns Hamburger und Pommes vom McDonald’s holten und statt einer lacken Cola ein Weißbier dazu zischten.
Damals begann eine wunderbare Freundschaft mit Gudrun und Leo.