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Donnerstag, 9. März 2017

Das Original

Es gibt gewisse Lokalitäten, die beschäftigen Türsteher vor dem Eingang, um Passanten in ihr Etablissement zu locken. Auf St. Pauli nennt man diese Gattung Mensch »Koberer« und ihre Tätigkeit »Ankobern«.

Im Münchner Hofbräuhaus gibt es solche Typen auch. Die heißen aber nicht so, die stehen auch nicht vor dem Eingang, sondern drinnen und die locken auch keine Passanten an.

Besagte Passanten kommen nämlich von ganz alleine und freiwillig in Scharen in die »heiligen Hallen« des Münchner Biertempels, der im Volksmund auch »Schwemme« oder »Schwemm« genannt wird.




 Im 1. Stock des Hofbräuhauses ist ein Restaurant der gehobeneren Gastronomie mit dem Namen »Bräustüberl« untergebracht und darüber im 2. Stock befindet sich der Festsaal. Beide können nur über eine Treppe erreicht werden, die direkt vor dem Haupteingang zur Schwemm nach oben führt.
Dies muss ich erwähnen, damit sie meiner Geschichte folgen können.

Zurück zu den Türstehern. Sie kontrollierten seinerzeit und sicher auch heute noch, an beiden Ausgängen, ob Gäste eventuell etwas mitgenommen hatten, was ihnen nicht gehörte.

 


Unter uns Studenten kursierte die Meinung, man habe nur richtig in München studiert, wenn man einen original Maßkrug vom Hofbräuhaus besitzen würde.

Sicher, es gab die Dinger am Kiosk in der Schwemme zu kaufen. Nur, diese Krüge hatten einen eingebrannten Stempel unterhalb des Henkels. Mit diesen Plagiaten gaben wir uns nicht zufrieden. Es musste schon ein echter Maßkrug ohne Stempel sein.

Und exakt auf diese entwendeten, wenn Sie wollen auch gestohlenen Maßkrüge, hatten es die Türsteher abgesehen. Sie guckten jedem unter den lässig übergeworfenen Mantel oder in den Rucksack. Ihnen entging nichts!

Ich hatte noch Keinen! Es war höchste Zeit

Es war um die Faschingszeit. Im Festsaal waren so gut wie jeden Abend Faschingsbälle.
Vor dem Saal stand ein riesiges Regal mit hunderten aneinandergereihten original Hofbräuhausmaßkrügen ohne Stempel.
Am späten Nachmittag liefen da droben die Vorbereitungen für den abendlichen Ball. Es herrschte ein emsiges Treiben.

Das war meine Chance!
Erst schlenderte ich die Treppe hoch in den 1. Stock, ging kurz in das Restaurant und tat so, als ob ich jemanden suchen würde. Dann ging ich wieder zurück ins Treppenhaus und schaute eher gelangweilt nach oben. Keiner nahm Notiz von mir. Ich wurde mutiger und erklomm den 2. Stock.

Es war wunderbar! All die vielen, vielen Maßkrüge, einer schöner als der andere und allesamt ohne eingebrannten Stempel.

Ich mischte mich unter die Bediensteten, schob ein paar Kisten, trug ein paar Stühle und arbeitete mich so an das Regal heran.
Kurzentschlossen schnappte ich mir einen Maßkrug und nahm Reißaus.
Das wurde natürlich bemerkt.

Im Wahnsinnstempo lief ich zurück in den ersten Stock. Zwei waren mir auf den Fersen. Ich hatte aber so viel Vorsprung, dass sie nicht mitbekamen, wie ich, statt sofort ganz nach unten zu rennen, im Restaurant verschwand. Prompt liefen sie vorbei bis runter an den Eingang zur Schwemm.
Im Restaurant, das sehr gut besucht war, nahm keiner Notiz von mir. Ich hing den soeben illegal erstandenen Maßkrug hinten an meinen Hosengürtel.

Betont langsam und entspannt nahm ich die Treppe Stufe für Stufe nach unten. Da standen sie, meine beiden Verfolger und der zuständige Hausl für die Schwemm und wunderten sich, dass der Maßkrugdieb verschwunden war.

Natürlich sahen die mich herunterkommen. Aber ein Dieb würde es eilig haben. Ich ging betont langsam mit unschuldigem Blick, bis ich die letzte Stufe bewältigt hatte. Der Krug rückwärts am Hosengürtel befestigt, war für die Mannen unsichtbar.

Ich entbot den Dreien ein beherztes »Grüß Gott!« Und meinte noch, das Bier hätte heute besonders gut geschmeckt.
Dann flitze ich an ihnen vorbei. Meine zwei Verfolger gaben sich noch nicht geschlagen. Sie rannten hinter mir her.

In den verwinkelten Sträßchen um das Hofbrauhaus konnte ich sie leicht abschütteln, schließlich bin ich zu meinen besten Zeiten gleich nach dem Abitur 11,0 Sekunden auf 100 Meter gesprintet. Das war schon ein paar Jährchen her, aber ich war immer noch gut drauf.

Wenig später saß ich in meinem R4, den ich in einem nahen Parkhaus deponiert hatte.

Endlich hatte ich meinen original Hofbräuhausmaßkrug.

Dann bekam ich einen Durscht. Da war es naheliegend zurück ins Hofbräuhaus zu eilen und mir in der Schwemme eine frische Maß zu kaufen.

Oft waren die Krüge nicht ganz gefüllt, aber man konnte sie beim Schankkellner nachbessern lassen. Wie das zu bewerkstelligen war, ist eine andere Geschichte, die ich ein andermal erzählen werde.


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