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Dienstag, 7. März 2017

Unter'm Siegestor zu München


 In unserem Semester gab es einen Franzosen namens Charles. Er fuhr genau so einen R4 wie ich. Charles sprach ein astreines Deutsch alldieweil seine Mutter Münchnerin und sein Vater Franzose war.
Seine Familie lebte in einem Kaff in der Normandie. Er selbst wohnte während seines Studiums in München bei seiner Oma.

Charles hatte sich in den Kopf gesetzt, einmal mit seinem R4 durch den Mittelbogen des Siegestores zu fahren. Sonst durften da nur die Trams durch. Alle Automobilisten, Kradfahrer, Radfahrer und was weiß ich noch alles, musste außenrum fahren. Selbst mit einem Kinderwagerl oder mit Rollschuhen durfte man da nicht durchfahren.

Damit diese Tat für die Ewigkeit konserviert würde, bat er mich, ein paar Fotos davon zu machen. Er wusste, dass ich mir erst vor kurzem eine Spiegelreflexkamera zugelegt hatte.

Für die Fotonarrischen unter meinen Lesern. Es war eine Mamia Sekor mit einem M42 Schraubgewinde.

Eines Tages,, nachdem der morgendliche Berufsverkehr abebbte, positionierte ich mich mit meiner Kamera, die Sonne im Rücken, am Siegestor.
Aufgesetzt war ein 55 mm Objektiv und ein Fujichrome 21 Diafilm, eingelegt.

Wir hatten uns eine feste Zeit ausgemacht und sogar noch am Abend vorher unsere Uhren abgeglichen.

Diesen Aufwand kann man sich heute im Zeitalter von Smartphone und Co. gar nicht mehr vorstellen.

Ich wartete.
Ich sah schon hin und wieder einen R4, einmal sogar einen blauen, aber das war nicht Charles Auto.
Er musste nur ans Siegestor ranfahren, einen günstigen Moment abpassen, an dem keine Straßenbahn aufkreuzte und dann, Bingo, einfach langsam durchfahren, damit ich ein paar Schnappschüsse schießen konnte.

Er kam nicht!
Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der ich mich mal auf dieser mal auf jener Seite des Siegestores herumdrückte, kam ich auf eine geniale Idee. Heute würde man sicher »geile Idee« dazu sagen, wenn nicht sogar »affengeil«.

Kurzentschlossen holte ich meinen blauen R4 aus der Seitenstraße, passte einen günstigen Moment ab, fuhr in den Mittelbogen, stieg aus und machte mehrere Aufnahmen. Stieg wieder ein und fuhr in Richtung Schwabing davon.
Das hatte keine Sau mitbekommen.

Keine zweihundert Meter weiter hielt mich eine Polizeistreife an, damals noch im schweren BMW 502, der ganz liebevoll auch »Barockengel« genannt wurde.


 

Was das denn gewesen sei, wollte einer der Beamten von mir wissen.
Ich gab offen heraus zu, dass es sich dabei um eine Wette handelte. Der Erste, der ein Foto mit seinem Auto unter dem Siegestor präsentieren könne, dürfte mit dem schönsten Mädel aus unserer Clique ein Wochenende verbringen.
Die beiden Schupos schauten recht ungläubig, wirkten aber am Fortgang der Story doch interessiert.

Als ich meine Ausführungen im Detail erläutern wollte, schreckte einer der Beiden hoch.
»Ja, da iss ja noch einer drunter!«, schrie er.
Und wen sah ich?
Charles himself stand mit seinem blauen R4 mittendrin im Siegestor und wartete auf das Shooting meinerseits.

Das Wort »Shooting« war damals gewiss nicht geläufig, ich habe es nur eingebaut, um zu zeigen, dass auch alte Säcke noch einen modernen Wortschatz draufhaben.

Nun glaubten mir die Beamten meine Story.

Der Name »Bulle« mag seinerzeit schon bekannt gewesen sein. Wir Studenten hätten die Müncher Polizei nie mit »Bullen« tituliert.
In den allermeisten Fällen drückten sie zu unseren Gunsten das eine oder andere Auge zu.
Und so war es auch diesmal.

Mit einem: »Es Studenten seid scho ein komisches Volk!«, verabschiedeten sie mich. Ich versprach ihnen noch, dass ich niemehr durchs Siegestor fahren wolle, höchstens mit der Tram.

Charles machte sich auch aus dem Staub.
Er hatte sich um eine Stunde vertan, was sogar in Zeiten von Smartphone und Co. noch vorkommen soll.

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