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Freitag, 24. März 2017

Weichtier und Knöterich

Wer kann schon von sich behaupten, morgens um 4 Uhr (!) an einer vogelkundlichen Exkursion teilgenommen zu haben? Nicht einmal, sondern das ganze Sommersemester, jeden Freitag, morgens um 4!
Obwohl wir uns nur schwer von unserer Matratze trennen konnten, war es eine echte Bereicherung.
Zu dritt, Gisela, Jürgen alias Hoss und ich versäumten keine Einzige!

Wir verbrachten ganze Samstage bei Wildbachexkursionen in der Nähe von Bad Laasphe, westlich von Marburg und studierten Köcherfliegenlarven und all so ein Zeugs.

In den Lahnbergen widmeten wir uns der Pflanzenwelt vom Knöterich bis zur Sumpfdotterblume. Wir fanden sogar heimische Orchideenarten.

Es war eine tolle Zeit!

Da gab es einen Doktoranden am zoologischen Institut, der schrieb seine Dissertation über Schnecken. Dieser Mensch brachte uns in diversen Praktika die Vielfalt der Schmeckenpopulation näher.
Da gibt es welche, die stoßen sich während des Liebesspiels »Liebespfeile« in den Körper. Schnecken, zumindest alle Landschnecken, sind Zwitter, Sie vereinigen in sich zwei Geschlechter. Das hindert sie offensichtlich nicht daran, solche sarkastischen Begattungspraktiken anzuwenden.

Wenn besagter Doktorand so einen »Liebespfeil« zwischen zwei Fingern hielt und uns in blumenreicher Sprache den Zeugungsakt einer Weinbergschnecke erklärte, konnte man meinen, er würde selbst dabei einen Orgasmus bekommen!

Der sah auch so aus wie eine Schnecke. In echt! Er sah wirklich so aus!
Wenn wir ihn im zoologischen Institut zu Gesicht bekamen, dann garantiert mit jeder Menge Schneckenhäusern in den Händen. Er kannte sie alle!
Irgendwann, so glaubten wir, würde er selbst ganz zur Schnecke werden.
Seinen Spitznamen hatte er sowieso schon weg. Molluscus!
Vom dem lateinischen Wort »Mollusca=Weichtiere« abgeleitet.

Freitagsnachmittags 14 Uhr hatten wir Wirbellosenkurs.
Da kamen all die schleimigen und hässlichen Viecher dran.

Oft gingen Gisela, Hoss und ich vorher zur Stärkung in unsere Kneipe in der Ketzerbach, kurz vor dem Zoologischen.
Die Kneipe hieß »Zum D-Zug« und war dementsprechend eingerichtet.
Hoss schaute zu tief ins Glas, vielleicht erwischte er auch unter den vielen Bierchen ein schlechtes Bierchen.
Jedenfalls ging er mit reichlich Schlagseite in den Kurs.

Es dauerte bis er sein Mikroskop gerichtet hatte und dann zeichnete er die Umrisse eines Blutegels mehr schlecht als recht aufs Papier und sämtliche Innereien nicht in den Umriss hinein, sondern deutlich daneben.

Der Kursleiter wunderte sich und fragte ihn, was das soll.
Er habe seine eigene Anschauung, meinte Hoss, und überhaupt wäre das sowas von scheißegal, ob er das ganze Gedärmse daneben oder hineinzeichnen würde! Dem Blutegel selber sei das auch schnurzpipe.

Immer wieder wunderten wir uns, wenn der Prof auf der Tafel mit schlafwandlerischer Sicherheit die tollsten anatomischen Gebilde all der Viecher skizzierte.

Bis wir dahinter kamen, dass er vorher sehr zarte und für uns aus der Entfernung unsichtbare Hilfslinien und Punkte auf der Tafel vorzeichnete.

Wir passten ihn deshalb vor Kursbeginn ab und warteten, bis er sein Vorgemälde vollendet hatte.
Danach gingen wir in den Hörsaal und ruck zuck war alles weggewischt. Dabei stand Gisela Schmiere und ich wischte die Tafel trocken.
Nun harrten wir der Dinge, die da kamen.

Schon nach wenigen Minuten hielt er plötzlich vor der Tafel inne. Sein Gesichtsausdruck war für einen Moment ratlos.
Dann fixierte er uns drei, wir saßen in der dritten Reihe auf unserem Stammplatz.

»Wenn da mal nicht die Dreierbande am Werk war!«, sagte er mit ärgerlichem Unterton.
Gisela konterte: »Herr Professor, sie vermuten nur, wir wissen es!«
Er hat uns den Streich nicht nachgetragen und wir haben uns auch nie mehr an der Tafel zu schaffen gemacht.

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