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Samstag, 13. Mai 2017

Der Watzmann

Die ersten gemeinsamen Urlaubstage lagen hinter uns. Das Wetter war mittelprächtig, teilweise bewölkt, aber es sollte die kommenden Tage besser werden.

Mein alter Herr, na ja, so alt war er damals noch nicht, wurde von Tag zu Tag lästiger. Er konnte von nichts mehr anderem reden, als unserer Watzmanntour.

»Papa, bei dem Wetter macht es keinen Sinn hochzugehen! Wir warten lieber noch ein paar Tage!«

Er benahm sich wie ein ungezogenes Kind, das unbedingt seinen Kopf durchsetzen will. Jeden morgen rannte er als Erstes zum Barometer. Dann hörte er im Radio die Wetterprognosen.

Internet und Wetter-Apps gab es damals noch nicht.
Dann, endlich erreichte ein stabiles Hochdruckgebiet die Ostalpen. Mein Vater war glücklich.
Es konnte losgehen!

Am ersten Tag kam der mühsame, aber leicht zu bewerkstelligende Aufstieg zum Watzmannhaus auf 1915 Meter. Es ging flott voran und das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite.

Watzmannhaus



 Oben angekommen bezogen wir erst mal unser Quartier, dann stärkten wir uns in der Wirtsstube.

Am nächsten Morgen wollten wir schon bei Sonnenaufgang aufbrechen. Die vor uns liegende Tour mit der Überquerung der drei Gipfel des Watzmanns (Hocheck, Haupt- und Südspitze) war lang und schwierig. Dann kam noch ein mühsamer Abstieg. Deshalb war auch kein Hüttenzauber angesagt.
Es kam alles ganz anders.



links unten nicht mehr im Bild das Watzmannhaus. Route über Hocheck, Haupt- und Südgipfel




 
Am nächsten Morgen, wie geplant bei Sonnenaufgang, ging es hinauf auf 2651 Meter zum Hocheck. Dort fing der schwierige Teil an. Der Grat hinüber auf die Mittelspitze war mit Drahtseilen gesichert. Es fegte ein eisiger Wind.

Beim ersten Griff fror meine linke Hand am Stahlseil fest. Ich riss sie sofort weg, da flogen auch schon die Hautfetzen. Ich kramte ein Verbandpäckchen aus meinem Rucksack und umwickelte meine Hand, die anfing zu bluten. Mein Vater, zwei drei Meter hinter mir, nahm das kurz zur Kenntnis.

»Weiter!«, drängelte er.
»Warte halt, ich muss erst meine Handschuhe herausholen!«

Mit dem linken Arm umschlang ich das Drahtseil und hing mich mit der Achsel hinein, damit ich die rechte Hand frei bekam, um meine Handschuhe aus der Jackentasche zu ziehen. So nebenbei musste ich auf dem schmalen Felsgrat Balance halten. Nun fummelte ich einen Handschuh über den Verband meiner linken Hand. Dabei kam mir der Zweite aus und wehte davon.

Mit blanken Händen war es unmöglich, am Seil weiterzugehen. Das sagte ich meinem Vater.

»Hast Du kein zweites Paar dabei?«, kam es vorwurfsvoll.
Natürlich hatte ich kein zweites Paar Handschuhe dabei.
Der Alte war stinksauer.
»Dann warten wir, bis er wärmer wird!«
»Das macht keinen Sinn, das kann Stunden dauern! Schau dir die Wolken an, die aufziehen!«

Über den Grat stieg von Osten her eine Nebelwand auf.

»Und außerdem schmerzt meine Hand. Damit kann ich keine drei Stunden bis zur Südspitze klettern. Das meiste geht am Seil, das weißt Du!«

Angefressen drehte er um.
Ich hangelte mich mit meiner verletzten aber geschützten Hand zurück, bis ich ohne Seil einen festen Stand hatte.

»Warum hast Du mir nicht Dein zweites Paar Handschuhe gegeben?«, fragte ich ihn.
Nun musste er eingestehen, dass auch er kein zweites Paar dabei hatte.

Über den Hochecksteig ging es zurück zum Watzmannhaus. Der Nebel wurde dichter.
Dort angekommen verarztete ich zusammen mit dem Hüttenwirt meine Hand. Zwei kräftige Hautfetzen ließ ich am Stahlseil droben auf dem Watzmann.

Wenig später kam eine Dreiergruppe Bergsteiger von oben und sagte uns, dass es bei diesem Wettersturz schier unmöglich sei, den Grat bis zur Mittelspitze zu gehen, sie seien auch umgekehrt.






 


Nach dieser Rast traten wir noch am gleichen Tag den Rückweg ins Tal an. Unten schien die Sonne, die Gipfel des Watzmanns waren in Wolken gehüllt.


Den restlichen Urlaub verbrachte ich die meiste Zeit alleine am Berg bei leichteren Touren. Nur abends saßen wir bei Steffi und Marei zusammen in der Stube und sammelten unsere Kronkorken.

Über die nicht gelungene Watzmannüberquerung verloren wir kein Wort.
Es war meine letzte gemeinsame Klettertour mit meinem Vater.

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